Indoeuropäische Sprachen

Definition

Cristian Violatti
von , übersetzt von Lara Mennel
Veröffentlicht am 05 Mai 2014
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Indo-European Language Family (by Hayden120, CC BY-NC-SA)
Indogermanische Sprachfamilie
Hayden120 (CC BY-NC-SA)

Die indogermanische Sprachfamilie besteht aus miteinander verwandten Sprachen, welche heute in weiten Teilen des amerikanischen und europäischen Kontinents sowie Vorder- und Südasien gesprochen werden. Sprachen wie Spanisch, Französisch, Portugiesisch und Italienisch stammen alle vom Lateinischen ab. Indogermanische Sprachen hingegen stammen von der wissenschaftlich nicht belegten indogermanischen Ursprache ab, die nicht mehr gesprochen wird.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Sprache ihren Ursprung in der heutigen Ukraine und den angrenzenden Gebieten des Kaukasus und Südrusslands hat, und sich anschließend in das restliche Europa sowie nach Indien ausbreitete. Das früheste mögliche Ende der indogermanischen Ursprache wird auf die Zeit um 3400 v. Chr. vermutet.

Da die Sprecher der indogermanischen Ursprache kein Schriftsystem entwickelt hatten, haben wir dafür keine greifbaren Nachweise. Mithilfe verschiedener Methoden versucht die Sprachwissenschaft, eine präzise Rekonstruktion der indogermanischen Ursprache zu schaffen. Obwohl eine solche Rekonstruktion unmöglich erscheint, so haben wir heute doch einen allgemeinen Eindruck, welche Gemeinsamkeiten die Sprecher der indogermanischen Ursprache sprachlich und kulturell aufwiesen. Zusätzlich zu diesen vergleichenden Methoden werden Studien zugezogen, welche auf den Vergleichen zwischen Mythen, Gesetzen und sozialen Einrichtungen basieren.

Die Menschen der Antike nahmen an, dass die lateinische Sprache vom Griechischen abstammt.

Zweige des Indogermanischen

Die indogermanischen Sprachen weisen eine große Anzahl von Zweigen auf: Anatolisch, Indoiranisch, Griechisch, Italisch, Keltisch, Germanisch, Armenisch, Tocharisch, Baltoslawisch und Albanisch.

Anatolisch

Dieser Sprachzweig trat vorwiegend im asiatischen Teil der Türkei und einigen Gebieten des nördlichen Syrien auf. Die bekannteste Sprache dieser Gruppe ist Hethitisch. Im Jahr 1906 wurden bei der Ausgrabungsstätte Hattusa, der Hauptstadt des Hethiter-Reiches, beträchtliche Funde gemacht, darunter etwa 10'000 Keilschrifttafeln und verschiedene weitere Fragmente, die alle in den Überresten eines königlichen Archivs gefunden wurden. Diese Texte wurden auf die Zeit zwischen der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends v. Chr. datiert.
Weitere Beispiele für Sprachfamilien, die dieser Gruppe angehören, sind Luwisch, Palaisch, Lykisch und Lydisch.

Alle Sprachen dieses Zweiges sind heute ausgestorben. Dieser Zweig hat mit einer Sprache, die etwa auf die Zeit um 1800 v. Chr. datiert werden kann, den ältesten überlieferten Beweis einer indogermanischen Sprache.

Indoiranisch

Dieser Zweig teilt sich weiter in zwei Untergruppen: Indisch und Iranisch. Heutzutage sind diese Sprachen vorwiegend in Indien, Pakistan, Iran und dessen Umgebung anzutreffen. Auch in Gebieten, die vom Schwarzen Meer bis ins westliche China reichen, gibt es Sprecher dieser Sprachen.

Sanskrit, welches zur indischen Untergruppe zählt, ist die bekannteste der frühen Sprachen dieses Zweiges. Ihr Vorgänger, die vedische Sprache, wurde durch eine Sammlung von Hymnen und anderer religiöser Texte des antiken Indiens, Veda genannt, überliefert. Um 1500 v. Chr. erreichten Sprecher des Indischen, die aus Zentralasien stammten, den indischen Subkontinent. Im Rigveda erzählt die Hymne 1-131 von einer legendären Reise, die als eine entfernte Erinnerung dieser Migration gedeutet werden kann.

Avestisch ist Teil der iranischen Untergruppe. Das Altavestische ist die älteste erhaltene Sprache dieser Gruppe und somit die „Schwester“ des Sanskrit. Die frühen religiösen Texte des Zoroastrismus sind in Altavestisch niedergeschrieben. Ein weiterer wichtiger Zweig der iranischen Sprachfamilie ist das Altpersische, das in den Königsinschriften des Achämenidenreiches gefunden und seit dem späten 6. Jahrhundert v. Chr. verwendet wurde.
Der früheste datierbare Nachweis dieses Zweiges kann auf etwa 1300 v. Chr. bestimmt werden.

Heute werden in Indien und Pakistan zahlreiche indische Sprachen, wie beispielsweise Hindi-Urdu, Panjabi oder Bengali, gesprochen. Iranische Sprachen wie Farsi, Paschto und Kurdisch werden im Irak, Iran, in Afghanistan und Tadschikistan gesprochen.

Indo-European language family tree
Stammbaum der indogermanischen Sprachen
Multiple authors (CC BY-SA)

Griechisch

Griechisch ist weniger ein eigener Sprachzweig, sondern besteht vielmehr aus einer Vielzahl von Dialekten: Während mehr als 3'000 Jahren an geschriebener Geschichte haben sich die griechischen Dialekte nie zu gegenseitig unverständlichen Sprachen entwickelt. Griechisch war vorwiegend im Süden der Balkanhalbinsel, der Peloponnes sowie in der Ägäis und deren Umgebung verbreitet. Der früheste überlebende Schriftbeweis einer griechischen Sprache ist das mykenische Griechisch, der Dialekt der mykenischen Kultur. Es waren hauptsächlich Tontafeln und keramische Gefäße auf Kreta, die mit solchen Inschriften gefunden wurden. Die Mykener kannten kein alphabetisches Schriftsystem, sondern bedienten sich einer Silbenschrift, die als Linearschrift B bekannt ist.

Die ersten alphabetischen Inschriften wurden in das frühe 8. Jahrhundert v. Chr. datiert, was wahrscheinlich etwa die Zeit war, in der Homers Epen Ilias und Odyssee ihre heutige Form erreichten. In der Antike gab es eine Vielzahl an griechischen Dialekten. Da im 5. Jahrhundert v. Chr. Athen die kulturelle Vorherrschaft innehatte, war es das attische Griechisch, das sich in der klassischen Zeit (480–323 v. Chr.) als Standard der Literatursprache durchsetzte. Aufgrund dessen wurden die berühmtesten griechischen Lyrik und Prosen in der klassischen Zeit auf Attisch geschrieben. Aristophanes, Aristoteles, Euripides und Plato sind nur einige Beispiele von Autoren, die ihre Werke auf Attisch verfassten.

Italisch

Dieser Zweig fand sich vorwiegend auf der italienischen Halbinsel. Die Italiker waren jedoch nicht Italiens Urbevölkerung: Vielmehr überquerten sie um 1000 v. Chr. die Alpen und erreichten Italien, wo sie schrittweise immer weiter in den Süden zogen. Latein, die berühmteste Sprache dieser Gruppe, hatte ursprünglich eine relativ kleine Ausdehnung und wurde von Hirtenvölkern gesprochen, die in kleinen Bauernsiedlungen in Mittelitalien lebten. Die ersten Inschriften auf Latein erschienen im 7. Jahrhundert v. Chr. und knapp ein Jahrhundert später hatte sich Latein bereits beträchtlich verbreitet.

Rom war hauptverantwortlich für die Verbreitung des Latein in der Antike. Für die meisten berühmten Werke römischer Autoren wie Ovid, Cicero, Seneca, Plinius der Ältere und Mark Aurel wurde das klassische Latein gewählt. Andere Sprachen dieses Zweiges sind Faliskisch, Sabellisch, Umbrisch, Südpikenisch und Oskisch, die jedoch alle ausgestorben sind.

Heute sind die romanischen Sprachen die einzigen überlebenden Nachfahren der italischen Sprachen.

Map of Indo-Euopean Migrations
Karte der indogermanischen Migrationen
Dbachmann (CC BY-SA)

Keltisch

Der keltische Zweig besteht aus zwei Untergruppen: dem Festlandkeltisch und dem Inselkeltisch. Bis um etwa 600 v. Chr. hatten sich die Keltisch sprechenden Stämme vom heutigen Süddeutschland, Österreich und dem westlichen Tschechien in alle Richtungen nach Frankreich, Spanien und in die britischen Inseln verbreitet. Zwei Jahrhunderte später, um 400 v. Chr., gehörten Norditalien, die Balkanhalbinsel und gar Regionen darüber hinaus zu ihrem Ausdehnungsgebiet. Während dem frühen ersten Jahrhundert v. Chr. dominierten die Keltenstämme große Teile Europas. Im Jahr 50 v. Chr. eroberte Julius Cäsar Gallien (das heutige Frankreich) und nur ein Jahrhundert später nahm Kaiser Claudius auch Britannien ein. Als Folge daraus wurde dieses große, Keltisch sprechende Gebiet von Rom absorbiert und Latein löste Keltisch als die vorherrschende Sprache ab. Die festlandkeltischen Sprachen starben langsam aus und Gallisch wurde zur Hauptsprache des europäischen Festlandes.

Das Inselkeltische auf den britischen Inseln entstand, nachdem Keltisch sprechende Stämme um das 6. Jahrhundert v. Chr. in das Gebiet eindrangen. Da die isolierte, geografische Lage Irland relativ zuverlässig vor Invasionen der Römer und Angelsachsen schützte, konnte sich das Inselkeltische ungestört entwickeln.

Die einzigen keltischen Sprachen, die heute noch gesprochen werden (Irisch, Schottisch, Walisisch und Bretonisch), stammen alle vom Inselkeltischen ab.

Germanisch

Die germanische Sprachfamilie ist unterteilt in drei Untergruppen: Nordgermanisch, zu dem das Altnordische als Vorfahre aller modernen skandinavischen Sprachen zählt, Westgermanisch, welches Altenglisch, Altsächsisch und Althochdeutsch umfasst, sowie Ostgermanisch, das heute ausgestorben ist.

Der früheste Nachweis von Deutsch sprechenden Völkern datiert zurück auf die erste Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. und zeugt von der Besiedlung eines Gebiets, das sich vom südlichen Skandinavien bis zur Küste der nördlichen Ostsee erstreckte. In der prähistorischen Zeit kamen Deutsch sprechende Stämme mit Sprechern der ostseefinnischen Sprache im Norden und baltoslawischen Muttersprachlern im Osten in Kontakt. Durch diese Interaktionen übernahm die germanische Sprache mehrere Ausdrücke des Ostseefinnischen und Baltoslawischen.

Mehrere Varianten des Altnordischen wurden von einem Großteil der Wikinger gesprochen. Auch die vorchristliche, nordische Mythologie und Folklore wurden in Altisländisch, einem Dialekt des Altnordischen, niedergeschrieben.

Niederländisch, Englisch, Friesisch und Jiddisch sind einige Beispiele der modernen Überlebenden des Westgermanischen. Dänisch, Färöisch, Isländisch, Norwegisch und Schwedisch hingegen sind Überlebende der nordgermanischen Untergruppe.

Armenisch

Die Ursprünge der Armenisch sprechenden Völker ist eine immer noch ungeklärte Frage. Es ist wahrscheinlich, dass die Armenier und Phryger zur gleichen Migrationswelle gehörten, welche im zweiten Jahrtausend v. Chr. vom Balkan aus nach Anatolien zog. Die Armenier ließen sich in im Gebiet des Vansee in der heutigen Türkei nieder. Im frühen ersten Jahrtausend v. Chr. gehörte diese Region zum urartäischen Reich. Im achten Jahrhundert v. Chr. fiel das urartäische Reich unter die Kontrolle der Assyrer, im siebten Jahrhundert v. Chr. eroberten die Armenier das Gebiet. Nur kurze Zeit später besetzten die Meder das Gebiet und Armenien wurde zu einem Vasallenstaat. Während der Zeit des Achämenidenreiches war die Region ein persischer Satrap. Die persische Vorherrschaft hatte einen starken Einfluss auf die armenische Sprache, was dazu führte, dass viele Gelehrte in der Vergangenheit zur Annahme bewegte, Armenisch wäre Teil des iranischen Zweiges.

Tocharisch

Die Geschichte der Tocharisch sprechenden Völker ist noch immer von Geheimnissen umgeben. Wir wissen, dass sie in der Taklamakan-Wüste im westlichen China gelebt haben. Die meisten noch existierenden tocharischen Texte sind Übersetzungen von bekannten buddhistischen Werken; all diese Texte wurden auf die Periode zwischen dem sechsten und achten Jahrhundert v. Chr. datiert. Keiner dieser Texte sprach jedoch von den Tocharern selbst. Zwei verschiedene Sprachen gehören zu dieser Untergruppe: Tocharisch A und Tocharisch B. Überreste der Sprache Tocharisch A wurden ausschließlich an Orten gefunden, an denen auch Dokumente mit Texten auf Tocharisch B entdeckt wurden. Das lässt darauf schließen, dass Tocharisch A bereits ausgestorben und nur als religiöse oder lyrische Sprache erhalten worden war, wohingegen Tocharisch B die noch lebende Sprache war und für administrative Zwecke eingesetzt wurde.

Eine Vielzahl gut erhaltener Mumien mit kaukasischen Eigenschaften wie hohe Statur und rotes, blondes oder braunes Haar, allesamt datiert von 1800 v. Chr. bis 200 n. Chr., wurden in der Taklamakan-Wüste entdeckt. Die Webart und Muster ihrer Kleidung weisen Gemeinsamkeiten mit der Hallstatt-Kultur in Zentraleuropa auf. Physikalische Analysen und Gennachweise haben Ähnlichkeiten mit den Bewohnern des westlichen Eurasiens aufgezeigt.

Dieser Sprachzweig ist vollständig ausgestorben. Von allen indogermanischen Sprachen war erreichte Tocharisch die weiteste Ausbreitung gegen Osten.

Baltoslawisch

Dieser Zweig verfügt über zwei Untergruppen: Baltisch und Slawisch.

Es wird angenommen, dass das Territorium der Balten in der späten Bronzezeit vom westlichen Polen bis zum Uralgebirge gereicht hat. Später besetzten die Balten ein kleines Gebiet an der Ostsee. Die Menschen, die im nördlichen Teil dieser von den Balten beherrschten Region lebten, standen im engen Kontakt mit finnischen Völkern, deren Sprache nicht Teil der indogermanischen Sprachen ist. Sprecher des Finnischen übernahmen eine beträchtliche Anzahl baltischer Worte, was darauf hindeutet, dass die Balten in dieser Region ein hohes kulturelles Ansehen genossen. Durch die Zunahme der gotischen und slawischen Zuwanderungen im fünften Jahrhundert n. Chr. wurde das Gebiet der Balten stetig kleiner.

Archäologische Funde zeigen, dass ab 1500 v. Chr. die Slawen oder deren Vorfahren ein Gebiet besetzten, das sich von der Grenze Westpolens bis zum Fluss Dnepr in Belarus erstreckte. Im sechsten Jahrhundert v. Chr. erweiterten die Slawisch sprechenden Völker ihr Territorium und migrierten nach Griechenland und in den Balkan. Zu diesem Zeitpunkt werden die Slawen erstmals schriftlich in byzantinischen Aufzeichnungen, in denen diese große Migration schriftlich festgehalten wurde, erwähnt. Da viele iranische Wörter früh in das Urslawische aufgenommen wurden, kann davon ausgegangen werden, dass alle oder eine Mehrheit der Slawen ursprünglich weiter östlich, in oder um iranisches Gebiet, angesiedelt waren. Später, als die Slawen gen Westen zogen, kamen sie in Kontakt mit germanischen Stämmen und übernahmen wiederum einige weitere Ausdrücke.

Nur zwei baltische Sprachen sind heute noch anzutreffen: Lettisch und Litauisch. Von den slawischen Sprachen hat eine große Anzahl überlebt: Bulgarisch, Tschechisch, Kroatisch, Polnisch, Serbisch, Slowakisch, Russisch und noch viele andere.

Albanisch

Albanisch ist von den indogermanischen Sprachen diejenige, die als letzte in geschriebener Form auftauchte. Zum Ursprung des Albanischen gibt es zwei Hypothesen. Die erste stellt Albanisch als moderner Nachkomme des Illyrischen dar, einer Sprache, die in diesem Gebiet weit verbreitet war. Da wir nur sehr wenig über Illyrisch wissen, kann diese Behauptung von einem sprachwissenschaftlichen Standpunkt her weder bestätigt noch bestritten werden. Von einem historischen und geografischen Standpunkt her gesehen ergibt diese Annahme jedoch Sinn.

Der zweiten Hypothese nach ist Albanisch ein Nachkomme der thrakischen Sprache, die weiter östlich als das Illyrische gesprochen wurde und ebenfalls ausgestorben ist.

Heute ist Albanisch die offizielle Sprache Albaniens und wird auch in Teilen des ehemaligen Jugoslawien sowie kleinen Enklaven in Süditalien, Griechenland und Nordmazedonien gesprochen.

Isolierte Sprachen

Alle Sprachen dieser Gruppe sind entweder ausgestorben oder bilden eine frühere Form einer modernen Sprache. Beispiel solcher Sprachen sind das Phrygische, Thrakische, Makedonische (nicht zu verwechseln mit Mazedonisch, das Teil des slawischen Sprachzweiges ist und im heutigen Nordmazedonien gesprochen wird), Illyrische, Venetische, Messapische und Lusitanische.

Historische Sprachwissenschaft der indogermanischen Sprachen

Bereits in der Antike ist aufgefallen, dass einige Sprachen große Gemeinsamkeiten aufweisen; ein gut bekanntes Beispiel hierfür ist das Griechische und das Lateinische. So wurde in der klassischen Antike festgestellt, dass die griechischen Ausdrücke héks „sechs“ und heptá „sieben“ sehr den lateinischen Pendants sex und septem glichen. Außerdem fiel die regelmäßige Entsprechung des Anfangsbuchstaben h- im Griechischen zum Anfangsbuchstaben s- im Lateinischen auf.

Die Menschen des Altertums schlussfolgerten, dass das Latein ein Nachkomme der griechischen Sprache ist. Jahrhunderte später, während und nach der Renaissance, wurden auch Ähnlichkeiten zwischen anderen Sprachen festgestellt. Man begann die Verwandtschaft verschiedener Sprachen miteinander, wie beispielsweise Isländisch und Englisch, aber auch die romanischen Sprachen, zu verstehen. Trotz dieser Erkenntnisse hat sich die Sprachwissenschaft bis im 18. Jahrhundert nicht merklich weiterentwickelt.

Während der kolonialen Expansion der Briten in Indien machte sich der britische Orientalist und Jurist Sir William Jones mit Sanskrit vertraut. Jones, der ebenfalls Kenntnisse in Griechisch und Latein hatte, war überrascht von den Ähnlichkeiten, die diese drei Sprachen aufwiesen. Seine neuen Erkenntnisse stellte er am 2. Februar 1786 während einer Vorlesung vor:

Die Sprache Sanskrit verfügt – abgesehen von ihrem Alter – über eine wundervolle Struktur; vollendeter als das Griechische, üppiger als das Lateinische und von eleganterer Verfeinerung als beide zusammen genommen. Hinzu kommt, dass Sanskrit zu beiden hinsichtlich der Verbwurzeln und grammatischen Formen eine stärkere Nähe aufweist, als dies allein durch Zufall hätte hervorgerufen werden können. Die Nähe ist so ausgeprägt, dass kein Philologe alle drei untersuchen könnte, ohne an einen gemeinsamen Ursprung zu glauben, der womöglich nicht mehr existiert. Es liegen ebenfalls – wenn auch etwas weniger überzeugende – Gründe vor, einen gemeinsamen Ursprung des Gotischen und Keltischen anzunehmen und auch das alte Persisch könnte der gleichen Familie hinzugefügt werden.

Die Vorstellung, dass Griechisch, Latein, Sanskrit und Persisch alle vom gleichen Vorfahren abstammten, war zu dieser Zeit revolutionär. Dieser Moment war ein Wendepunkt in der Geschichte der Sprachforschung. Latein wurde zum ersten Mal nicht als „Tochter“, sondern als „Schwester“ des Griechischen begriffen. Durch seine Studien des Sanskrit, einer von Griechisch und Latein geografisch weit entfernten Sprache, und dem Verständnis, dass Zufall eine ungenügende Erklärung für die Ähnlichkeiten dieser drei Sprachen war, präsentierte Sir William Jones eine neue Sichtweise und bewirkte so die Entwicklung der modernen Sprachwissenschaft.

Literaturverzeichnis

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Übersetzer

Lara Mennel
Unendliche Neugierde war und ist eine treibende Kraft in Laras Leben. Mit einem Abschluss in Linguistik und einer Faszination für Geschichte kann sie zwei große Interessen miteinander verbinden und lernt zurzeit Norwegisch, Italienisch und Irisch-Gälisch.

Autor

Cristian Violatti
Cristian ist öffentlicher Redner und freier Autor mit einer starken Passion für die Menschheitsgeschichte. Immerzu inspiriert von den wertvollen Lektionen der Geschichte ist es sein Ziel, die intellektuelle Neugier seines Publikums zu wecken.

Dieses Werk Zitieren

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Violatti, C. (2014, Mai 05). Indoeuropäische Sprachen [Indo-European Languages]. (L. Mennel, Übersetzer). World History Encyclopedia. Abgerufen auf https://www.worldhistory.org/trans/de/1-12793/indoeuropaische-sprachen/

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Violatti, Cristian. "Indoeuropäische Sprachen." Übersetzt von Lara Mennel. World History Encyclopedia. Letzte Mai 05, 2014. https://www.worldhistory.org/trans/de/1-12793/indoeuropaische-sprachen/.

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Violatti, Cristian. "Indoeuropäische Sprachen." Übersetzt von Lara Mennel. World History Encyclopedia. World History Encyclopedia, 05 Mai 2014. Internet. 05 Okt 2024.