Desert Kites

5 verbleibende Tage

In den Geschichtsunterricht investieren

Indem Sie unsere Wohltätigkeitsorganisation World History Foundation unterstützen, investieren Sie in die Zukunft des Geschichtsunterrichts. Ihre Spende hilft uns, die nächste Generation mit dem Wissen und den Fähigkeiten auszustatten, die sie braucht, um die Welt um sie herum zu verstehen. Helfen Sie uns, im neuen Jahr mehr verlässliche historische Informationen zu veröffentlichen - kostenlos für alle.
$3774 / $10000

Definition

Olivier Barge
von , übersetzt von Manfred Boelke
Veröffentlicht am 26 Juni 2020
In anderen Sprachen verfügbar: Englisch, Französisch
Diesen Artikel anhören
X
Artikel drucken
Desert Kites (by Olivier Barge, CC BY-NC-ND)
Desert Kites
Olivier Barge (CC BY-NC-ND)

Desert Kites (Wüstendrachen) sind Mega-Konstruktionen, die aus zwei langen, niedrigen Wällen bestehen, die trichterförmig auf eine eingezäunte Fläche zusammenlaufen, an deren Peripherie sich kleine steinerne Zellen befinden. Aus der Luft gesehen ähnelt ihre Form einem Spielzeug-Drachen (Kite), wie ihn Kinder in die Luft steigen lassen. Deshalb wurden sie von den britischen und französischen Militärpiloten, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über die Wüsten des Nahen Ostens flogen und sie dabei entdeckten, Desert Kites (Wüstendrachen) genannt. Diese Kites vereinen in sich verschiedene Eigenschaften, die Gegenstand gesonderter archäologischer Untersuchungen wurden. Allerdings erwiesen sich die meisten der klassischen Untersuchungsmethoden aufgrund der Natur dieser Bauten als nutzlos.

Trotz vieler Studien und obwohl die neuere Forschung das Wissen über sie erweitert hat, bleiben Kites in vielerlei Hinsicht immer noch ein Rätsel. Wir beginnen erst langsam ihre geografische Verbreitung, ihr Alter und ihre Funktion besser zu verstehen – alles entscheidende Fragen, die vor kurzem noch heftig diskutiert wurden. Zu Beginn der 2010er Jahre regte der freie Zugang zu hochauflösenden Satellitenbildern die Forschung erneut an, weil sich zeigte, dass es viel mehr Kites gibt, als noch vor wenigen Jahren angenommen. Ausgehend von dieser neuen Datenquelle und den klassischen Informationen wurden multidisziplinäre Untersuchungen eingeleitet und Feldexpeditionen organisiert.

Kites kommen in trockenen Umgebungen vor, in Steppen & an Wüstenrändern & ihre topographische Lage ist eindeutig das Ergebnis einer gezielten Auswahl.

Morphologie

Kites sind große archäologische Relikte, die meist recht gut erhalten sind. Es handelt sich um Trockensteinkonstruktionen, die aus einer Einfriedung bestehen, sowie mehr oder weniger durchgehenden Wällen, die zum Eingang der Einfriedung hin trichterförmig zusammenlaufen. Die Wälle können manchmal auch fehlen, aber für gewöhnlich sind es mindestens zwei, und manchmal sogar drei, vier oder mehr. Ihre Länge beträgt im Allgemeinen mehrere hundert Meter und kann sogar mehrere Kilometer erreichen, während ihre Höhe meist nur wenige Dezimeter beträgt. Die Einfriedungen sind in ihrer Form variabel (kreisförmig, dreieckig, sternförmig usw.) und ihre Größe, die weitaus größer ist als Hirtengehege, variiert von einigen hundert Quadratmetern bis zu mehr als zehn Hektar.

Die kleinen Steinkonstruktionen oder Zellen, die sich der zentralen Einfriedung nach außen hin anschließen, sind der anspruchsvollste Teil der Anlage und immer sehr sorgfältig konstruiert. Ihre Anzahl variiert von einer einzelnen Zelle bis hin zu mehreren Dutzend. Die vielen Varianten von Kites machen es schwierig eine Typologie aufzustellen. Verschiedene, häufig beobachtete Attribute werden dabei berücksichtigt, wie die Anordnung der Zellen in der Nähe des Eingangs, das Vorhandensein von Zellen am Ende von spitzen Fortsätzen und die besonderen Formen Ihrer Eingänge. Solche Merkmale werden am häufigsten von Kites aus derselben Region geteilt, wodurch homogene Gruppen entstehen, die auf regionale Bereiche begrenzt sind. Kites kommen in trockenen Umgebungen vor, in Steppen und an Wüstenrändern und ihre topographische Lage ist eindeutig das Ergebnis einer gezielten Auswahl. Ein Hangbruch wird am häufigsten an der Position des Eingangs beobachtet, und verschiedene topographische Gegebenheiten wurden einem flachen Gelände vorgezogen.

Examples of Desert Kites
Beispiele von Desert Kites
Olivier Barge (CC BY-NC-ND)

Geografische Verbreitung

Das Prinzip einer Einfriedung am Ende konvergierender Wände scheint universellen Charakter zu haben, da Konstruktionen dieser Art in mehreren Regionen der Welt (Nord- und Südamerika, Skandinavien usw.) zu finden sind. Allerdings unterscheiden sich Kites von anderen Konstruktionen durch das Vorhandensein von Zellen, die an die Einfriedung angrenzen.

Die ersten seinerzeit identifizierten Kites und zugleich auch die zahlreichsten, befinden sich im Harrat-al-Sham, der „Schwarzen Wüste“ zwischen Syrien und Jordanien. Es gibt andere Zonen mit hoher Dichte, aber diese sind in sich begrenzter – in den Bergen von Palmyra in Syrien, im Harrat Khaybar, im Westen Saudi-Arabiens und die erst kürzlich in Armenien entdeckten. In anderen Regionen kommen Kites weiter verstreut vor, obwohl auch die selten völlig isoliert sind, sondern normalerweise in Gruppen auftreten. Das ist zum Beispiel in den Regionen Damaskus und Karatein, im Jebel al Has und auf der Hochebene von Hemma, in Syrien der Fall.

In Arabien findet man sie auch am Nordrand des Nefud, in der Verlängerung des Harrat al-Sham. Eine wichtige Gruppe wurde kürzlich in den südlichen Ausläufern des Taurus Gebirges in der Südtürkei entdeckt. Eine weitere wichtige Gruppe, die lokalen Archäologen seit langem bekannt ist, befindet sich auf dem Ustjurt-Plateau, in der Aralo-Kaspischen Zone in Kasachstan und Usbekistan. Insgesamt umfasst der aktuelle Bestand (Sommer 2020) mehr als 6.000 Kites, die sich über ein beträchtliches geografisches Gebiet erstrecken. Dieser Bestand des Globalkites Projekts wird regelmäßig aktualisiert.

The Distribution of Kites
Die Verbreitung von Kites
Olivier Barge (CC BY-NC-ND)

Funktion

Allgemein herrschte Einigkeit darüber, dass Kites zum Sammeln von Tieren dienten, aber die Meinungen waren geteilt, ob es sich dabei um Wildtiere oder domestizierte Viehherden handelte. Jüngste Ausgrabungen von Zellen – diesen kleinen Bauten, durch die Kites definiert werden – haben gezeigt, dass es sich bei ihnen um planvoll angelegte Fallgruben handelte, um die Tiere einzuschließen. Sie sind daher das eigentliche Tötungsgerät und der Rest der Konstruktion diente dazu, die Beute zu sammeln und zu lenken. Wir haben kein Wissen darüber, wie die Jagd durchgeführt wurde (Anzahl und Rolle der Jäger, Zeitpunkt, Einsatz von Hunden usw.), aber hochauflösende topographische Vermessungen haben die allgemeine Funktionsweise der Falle verständlicher gemacht.

Die komplexe Topographie, in der die Einfriedungen angelegt sind und ihre Größe, machen die Falle fast unsichtbar, in einer Umgebung, die sich innen wie außen gleicht.

Die komplexe Topographie, in der die Einfriedungen angelegt sind und ihre Größe, machen die Falle fast unsichtbar, in einer Umgebung, die sich innen wie außen gleicht. Der Hangbruch am Eingang diente dazu, das Vorhandensein der Einfriedung beim Treiben der Herde bis zuletzt zu verbergen. Das gleiche Prinzip wurde verwendet um die Zellen/Fallgruben, die oft am Ende eines spitzen Fortsatzes platziert wurden so lange zu verstecken, bis die Tiere hineinfielen. Der Grundriss der Gehege weist oft zahlreiche spitze Fortsätze auf, an deren Ende die Zellen/Fallgruben versteckt sind. Auch wenn es den Tieren möglich war über Wälle zu springen, war die allgemeine Form der Anlage doch so konzipiert, dass sie in Richtung der Fallgruben geleitet wurden.

Wilde Huftiere reagieren bei ihren schnellen Herdenbewegungen auf in der Landschaft vorhandene Ausrichtungen und wurden wahrscheinlich während der saisonal wiederkehrenden Wanderungen gejagt. Es ist tatsächlich zu beobachten, dass Kites in bestimmten Regionen trotz ihrer Richtungsvariabilität häufig in eine Vorzugsrichtung orientiert sind, was durch die lokale Topographie erklärt werden kann. Die in archäologischen Stätten gefundenen Knochen der heute weitgehend ausgestorbenen Gazellen zeigen, dass diese Art im gesamten geografischen Verbreitungsgebiet der Kites präsent war (ohne dass eine Beziehung zwischen den Stätten und den Kites hergestellt wurde). Aufgrund ihres Herdenverhaltens war diese Gazellenart vermutlich die meistbegehrte Beute, auch wenn andere Tierarten möglich sind.

Desert Kite Cell
Desert Kite Zelle
Olivier Barge (CC BY-NC-ND)

Datierung

Das Alter von Kites war lange unklar – und diese Unsicherheit bleibt teilweise bestehen – weil bei den ohnehin seltenen Ausgrabungen zu wenig datierbares Material zu Tage kommt. Überreste von Werkzeugen, Gebrauchsspuren und Tierknochen fehlen völlig, während verkohltes Material, das sich gut zur Datierung eignet selten ist. In den 1990er Jahren ergab die relative Datierung eines ausgegrabenen Kites in Südsyrien eine Herkunft aus der frühen Bronzezeit. Damit wurde eine bedeutende Anzahl von Daten bestätigt, die in den 1980er und 1990er Jahren für mehrere Fallen im Negev festgestellt wurden, auch wenn die dortigen Kites mit ihren speziellen Formen nicht repräsentativ für Kites im Allgemeinen sind. Basierend auf der relativen Chronologie und/oder Artefakten, die an der Oberfläche gefunden wurden, waren sich zwei Autoren einig, dass die Kites des Harrat al-Sham, in Jordanien, der ausgehenden Jungsteinzeit zugeordnet werden können. Und schließlich gab es zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert unserer Zeit mehrere Reiseberichte, in denen die kollektive Jagd auf Gazellen im Nahen Osten geschildert wird – wobei nicht sicher ist, ob die darin erwähnten Strukturen mit den Kites identisch sind, die wir heute beobachten.

Bis vor kurzem gab es nur wenige chronologische Anhaltspunkte und die analysierten Funde waren oft Einzelfälle. Mehrere, in den letzten Jahren durchgeführte Ausgrabungen haben jedoch zahlreichere und besser zusammenhängende Datierungen ermöglicht (Radiocarbon von Holzkohle, verkalkte Samen oder Vogeleierschalen, OSL/IRSL von Sedimenten). In Armenien wurden Kites vom Ende der Bronzezeit bis zum Beginn unserer Zeitrechnung verwendet. Auf der Ustjurt-Hochebene, in der Aralo-Kaspischen Zone gehen die Kites auf die Eisenzeit zurück und bestanden bis in die jüngste Vergangenheit. Im Süden Jordaniens wurden nach Ausgrabung mehrerer Kite-Zellen Daten vom Ende der Jungsteinzeit ermittelt. Wie bereits durch frühere Ergebnisse vermutet, belegen neuere Daten den Bau und Einsatz von Kites über einen sehr langen Zeitraum hinweg.

Fazit

Kites sind einzigartige, sehr große Jagdfallen. Die Zelle/Fallgrube ist tatsächlich die Tötungsvorrichtung, die in anderen großen Fallensystemen, die auf der ganzen Welt dokumentiert sind, ohne Entsprechung ist. Diese Einzigartigkeit und die Zahl der über einen Zeitraum von etwa zehn Jahrtausenden in einem beträchtlichen geografischen Bereich errichteten Kites, lassen auf ein Phänomen der kulturellen Verbreitung von sehr langer Dauer schließen, das noch dokumentiert werden muss. Dazu stellen sich viele Fragen, die zu interessanten Forschungsansätzen einladen: Wer waren die Kitebauer, wie war ihre Lebensweise und ihre möglichen Beziehungen zu den neolithischen und dann urbanisierten Bevölkerungen? Einige dieser Punkte spiegeln Fragen aus der heutigen Zeit wider: Waren diese Jäger, die möglicherweise eine Rolle beim Verschwinden der großen Herden spielten, für den Verlust der alten Artenvielfalt verantwortlich? Oder haben sie, im Gegenteil, ihre Jagd nachhaltig betrieben und ihre Aktivitäten an die Veränderungen in dieser fragilen Umgebung angepasst?

Literaturverzeichnis

  • Betts, A.V.G. & Yagodin, V. "A new Look at Desert Kites." The archaeology of Jordan and beyond, 2000, pp. 31-43.
  • Holzer, A., Avner, U., Porat, N., Horwitz, L. K. "Desert kites in the Negev desert and northeast Sinai: Their function, chronology and ecology." Journal of Arid Environments, 74,7, 2001, pp. 806-817.
  • Morandi Bonacossi, D. "Desert-kites in an aridifying environment. Specialised hunter communities in the Palmyra steppe during the middle and late Holocene." Studia Chaburensia, 4, 2014, pp. 33-47.
  • Nadel, D., Bar-Oz, G., Avner, U., Boaretto, E., Malkinson, D. "Walls, ramps and pits: the construction of the Samar Desert kites, southern Negev, Israel." Antiquity, 84,326, 2010, pp. 976-992.
  • Zeder, M., Bar-Oz, G., Rufolo, S., Hole, F. "New perspectives on the use of kites in mass-kills of Levantine gazelle: A view from northeastern Syria." Quaternary international, 297, 2013, pp. 110-125.
  • Al-Khasawneh, S., Murray, A., Thom sen, K., Abu-Azizeh, W., Tarawneh, M. B. "Dating a near eastern desert hunting trap (kite) using rock surface luminescence dating." Archaeological and Anthropological Sciences, 11/2019, pp. 2109-2119.
  • Barge O., Brochier J.E., Chahoud J., Chataigner C., Regagnon E., Crassard R. "Hunting with kites in Armenia." The Gazelle's Dream. Game Drives of the Old and New Worlds, edited by Betts A. and van Pelt P., (Eds.). University of Sydney Press, 2020
  • Barge, O., Abu-Azizeh, W., Brochier, J.E., Crassard, R., Regagnon, E., Nous, C. "Desert-kites et constructions apparentées: découvertes récentes et mise à jour de l’extension géographique." Paleorient, 46/1/2020.
  • Barge, O., Brochier, J.E., Deom, J.-M., Sala, R., Karakhanyan, A., Avagyan, A., Plakhov, K. "The “desert kites” of the Ustyurt plateau." Quaternary International, 395/ 2015, pp. 113-132.
  • Brochier, J.E., Barge, O., Karakhanyan, A., Kalantarian, I., Chambrade, M.L., Magnin, F. "Kites on the margins: the Aragats kites in Armenia." Paleorient, 40(1), 2014, pp. 25-53.
  • Crassard, R., Barge, O., Bichot, C.-E., Brochier, J.E, Chahoud, J., Chambrade, M.-L., Chataigner, C., Madi, K., Regagnon, E., Seba, H., Vila, E. "Addressing the Desert Kites Phenomenon and Its Global Range Through a Multi-proxy Approach." Journal of Archaeological Method and Theory, 2014.
  • Echallier, J.-C. & Braemer, F. "Nature et fonction des "Desert Kites" : donnees et hypotheses nouvelles." Paleorient, 21(1), 1995, pp. 35-63.
  • Helms, S. & Betts, A.V.G. "The Desert." Paleorient, 13(1), 1987, pp. 41-67.
  • Kennedy, D. "Kites - new discoveries and new type." Arabian archaeology and epigraphy, 23, 2012, pp. 145-155.
  • Nadel, D., Bar-Oz, G., Malkinson, D., Spivak, P., Langgut, D., Porat, N., Khechoyan, A., Nachmias, A., Crater-Gershtein, E., Katinaa, A., Bermatov-Paz, G. "“New insights into desert kites in Armenia: the fringes of the Ararat Depression”." Arabian Archaeology and Epigraphy, 26/2015, pp. 120-143.
  • Van Berg, P.-L., Vander Linden, M., Lemaitre, S., Picalause, V. "Desert-kites of the Hemma Plateau (Hassake, Syria)." Paleorient, 30(1), 2004, pp. 89-99.

Übersetzer

Manfred Boelke
Manfred Boelke ist ein Privatforscher, der sich seit über einem Jahrzehnt intensiv mit der satellitenbildgestützten Suche nach prähistorischen Relikten befasst. Im Vordergrund stehen dabei Gräber und große Wildfallen aus dem Neolithikum und der Bronzezeit in Nordafrika und dem Nahen Osten.

Autor

Olivier Barge
Olivier Barge ist Spezialist für Geoinformation beim französischen CNRS (Centre national de la recherche scientifique). Er arbeitet seit 1999 mit Archäologen auf den Gebieten des Alten Orient zusammen, wo er versucht die Konzepte der Geographie, seiner ursprünglichen Disziplin, auf die Fragen aus der Vergangenheit anzuwenden.

Dieses Werk Zitieren

APA Stil

Barge, O. (2020, Juni 26). Desert Kites [Desert Kites]. (M. Boelke, Übersetzer). World History Encyclopedia. Abgerufen auf https://www.worldhistory.org/trans/de/1-13394/desert-kites/

Chicago Stil

Barge, Olivier. "Desert Kites." Übersetzt von Manfred Boelke. World History Encyclopedia. Letzte Juni 26, 2020. https://www.worldhistory.org/trans/de/1-13394/desert-kites/.

MLA Stil

Barge, Olivier. "Desert Kites." Übersetzt von Manfred Boelke. World History Encyclopedia. World History Encyclopedia, 26 Jun 2020. Internet. 26 Dez 2024.