Die ägyptische Religion war eine Kombination von Vorstellungen und Praktiken, die in der heutigen Zeit ägyptische Mythologie, Wissenschaft, Medizin, Psychiatrie, Magie, Spiritismus, Kräuterkunde sowie das moderne Verständnis von „Religion“ als Glaube an eine höhere Macht und ein Leben nach dem Tod umfassen würde.
Religion spielte in jedem Aspekt des Lebens der alten Ägypter eine Rolle, denn das Leben auf der Erde wurde nur als ein Teil einer ewigen Reise betrachtet, und um diese Reise nach dem Tod fortsetzen zu können, musste man ein Leben führen, das es wert war, forgesetzt zu werden. Während des irdischen Lebens wurde erwartet, dass man das Prinzip der Maat (Harmonie) aufrechterhielt und verstand, dass die eigenen Handlungen im Leben nicht nur das eigene Leben, sondern auch das Leben anderer und das Funktionieren des Universums beeinflussten. Von den Menschen wurde erwartet sich aufeinander zu verlassen, um das Gleichgewicht zu halten, da es der Wille der Götter war, den Menschen durch eine harmonische Existenz zu einem Höchstmaß an Vergnügen und Glück zu verhelfen, was es auch den Göttern ermöglichte, ihre Aufgaben besser zu erfüllen.
Indem man das Prinzip der Maat (personifiziert als gleichnamige Göttin mit der weißen Feder der Wahrheit) ehrte und sein Leben in Übereinstimmung mit ihren Geboten führte, verbündete man sich mit den Göttern und den Kräften des Lichts gegen die Kräfte der Dunkelheit und des Chaos und sicherte sich nach dem Tod einen Empfang in der Halle der vollständigen Wahrheit und ein mildes Urteil von Osiris, dem Herrn der Toten.
Die Götter
Das zugrundeliegende Prinzip der ägyptischen Religion war als Heka (Magie) bekannt, personifiziert in dem Gott Heka. Heka hatte schon immer existiert und war beim Akt der Schöpfung anwesend. Er war der Gott der Magie und der Medizin, aber auch die Kraft, die es den Göttern ermöglichte, ihre Aufgaben zu erfüllen, und die es den Menschen erlaubte, mit ihren Göttern zu kommunizieren. Er war allgegenwärtig und allumfassend, erfüllte das tägliche Leben der Ägypter mit Magie und Sinn und unterstützte das Prinzip der Maat, von dem das Leben abhing.
Vielleicht lässt sich Heka am besten durch einen Vergleich mit Geld verstehen: Man kann einen bestimmten Gegenstand mit einem bestimmten Geldwert kaufen, weil der Wert dieses Gegenstandes als gleich oder geringer als dieser Geldwert angesehen wird. Der Geldschein, den man in der Hand hält, hat einen unsichtbaren Wert, der ihm durch einen Wertmaßstab (früher war es der Goldstandard) verliehen wird, der dem Händler verspricht, dass er für das, was man kauft, entschädigt wird. Genau das ist das Verhältnis von Heka zu den Göttern und der menschlichen Existenz: Er war der Maßstab, die Grundlage der Macht, von der alles andere abhing. Ein Gott oder eine Göttin wurde für einen bestimmten Zweck angerufen, wurde für das verehrt, was sie gegeben hatten, aber es war Heka, der diese Beziehung zwischen den Menschen und ihren Gottheiten ermöglichte.
Die Götter im alten Ägypten galten als Herrscher der Schöpfung und Hüter der Ordnung, aber auch als vertraute Freunde, die daran interessiert waren, den Menschen des Landes zu helfen und sie zu führen. Die Götter hatten aus dem Chaos eine Ordnung geschaffen und den Menschen das schönste Land der Welt geschenkt. Die Ägypter hingen so sehr an ihrer Heimat, dass sie längere Feldzüge jenseits ihrer Grenzen mieden, weil sie fürchteten, auf fremdem Boden zu sterben und nicht die richtigen Riten für ihre Weiterreise nach dem Leben zu erhalten. Aus demselben Grund weigerten sich ägyptische Monarchen, ihre Töchter mit fremden Herrschern zu verheiraten. Die ägyptischen Götter hatten das Land mit ihrer besonderen Gunst gesegnet, und vom Volk wurde erwartet, sie als große und gütige Wohltäter zu ehren.
Vor langer Zeit, so glaubte man, gab es nichts als die dunklen, wirbelnden Gewässer des Chaos, die sich in die Ewigkeit erstreckten. Aus diesem Chaos (Nun) erhob sich der als Benben bekannte Urhügel, auf dem der große Gott Atum (nach einigen Versionen war es Ptah, nach vielen anderen Re, der schließlich als Atum-Re bekannt wurde) in Gegenwart von Heka stand.
Atum-Re schaute auf das Nichts und erkannte seine Einsamkeit, und so vereinigte er sich mit seinem eigenen Schatten und gebar zwei Kinder, Schu (Gott der Luft, den Atum-Re ausspuckte) und Tefnut (Göttin der Feuchtigkeit, die Atum-Re ausspuckte). Schu gab der frühen Welt die Prinzipien des Lebens, während Tefnut die Prinzipien der Ordnung beisteuerte. Sie ließen ihren Vater auf dem Benben zurück und machten sich auf, die Welt zu errichten.
Mit der Zeit wurde Atum-Re besorgt, weil seine Kinder so lange fort waren, und so entfernte er sein Auge und schickte es auf die Suche nach ihnen. Während sein Auge unterwegs war, saß Atum-Re allein auf dem Hügel inmitten des Chaos und dachte über die Ewigkeit nach. Schu und Tefnut kehrten mit dem Auge von Atum-Re zurück (das später mit dem Udjat-Auge, dem Auge des Re oder dem Allsehenden Auge in Verbindung gebracht wurde), und ihr Vater vergoss aus Dankbarkeit über ihre sichere Rückkehr Tränen der Freude. Diese Tränen, die auf die dunkle, fruchtbare Erde des Benben fielen, brachten Männer und Frauen hervor.
Diese Menschen hatten jedoch keinen Platz zum Leben, und so vereinigten sich Schu und Tefnut und gebaren Geb (die Erde) und Nut (den Himmel). Obwohl Geb und Nut Geschwister waren, verliebten sie sich ineinander und waren unzertrennlich. Atum-Re fand ihr Verhalten inakzeptabel und stieß Nut von Geb weg, hoch in den Himmel. Die beiden Liebenden konnten sich für immer sehen, aber nicht mehr berühren. Nut war jedoch bereits von Geb schwanger und gebar schließlich Osiris, Isis, Seth, Nephthys und Horus – die fünf ägyptischen Götter, die meist als die ältesten angesehen werden (obwohl Hathor heute als älter als Isis gilt). Diese Götter brachten dann alle anderen Götter in der einen oder anderen Form hervor.
Jede der Gottheiten hatte ein eigenes Spezialgebiet. Bastet zum Beispiel war die Göttin des Herdes, des häuslichen Lebens, der Gesundheit und der Geheimnisse der Frauen sowie der Katzen. Hathor war die Göttin der Güte und Liebe, verbunden mit Dankbarkeit und Großzügigkeit, Mutterschaft und Mitgefühl. Einer frühen Geschichte über sie zufolge, die als Buch von der Himmelskuh bekannt ist, wurde sie jedoch auf die Erde gesandt, um die Menschheit zu vernichten, und wurde zur Göttin Sachmet, die im Blutrausch fast die Welt zerstörte, bis sie durch Bier, das die Götter zur Täuschung rot gefärbt hatten, besänftigt und in Schlaf versetzt wurde.
Als sie aus ihrem Schlaf erwachte, verwandelte sie sich in die sanftere Gottheit Hathor, die der Menschheit ihren ewigen Dienst versprach. Obwohl Hathor mit Bier in Verbindung gebracht wurde, war Tjenenet die Hauptgöttin des Getränks und hatte auch den Vorsitz über die Geburt. Bier galt im alten Ägypten als unentbehrlich für die Gesundheit und als Geschenk der Götter, und es gab viele Gottheiten, die mit dem Getränk in Verbindung gebracht wurden, das angeblich zuerst von Osiris gebraut worden war.
Ein früher Mythos erzählt, wie Osiris von seinem Bruder Seth betrogen und getötet wurde und wie Isis ihn wieder zum Leben erweckte. Er war jedoch unvollständig, da ein Fisch einen Teil von ihm gefressen hatte, und so konnte er nicht mehr harmonisch auf der Erde herrschen und wurde in der Unterwelt zum Herrn der Toten. Sein Sohn, Horus der Jüngere, kämpfte achtzig Jahre lang gegen Seth und besiegte ihn schließlich, um die Harmonie auf der Erde wiederherzustellen. Horus und Isis regierten nun gemeinsam, und alle anderen Götter fanden ihren Platz und ihr Fachgebiet, um den Menschen in Ägypten zu helfen und sie zu unterstützen.
Zu den wichtigsten dieser Götter gehörten die drei, die die Triade von Theben bildeten: Amun, Mut und Chons (auch bekannt als Khonsu). Amun war ein lokaler Fruchtbarkeitsgott von Theben, bis der thebanische Adlige Mentuhotep II. (2061-2010 v. Chr.) seine Rivalen besiegte und Ägypten vereinigte, wodurch Theben zur Hauptstadt und seine Götter zur Vormacht erhoben wurden. Amun, Mut und Chons von Oberägypten (wo sich Theben befand) übernahmen die Attribute von Ptah, Sachmet und Chons von Unterägypten, die viel ältere Gottheiten waren. Amun wurde zum obersten Schöpfergott, symbolisiert durch die Sonne; Mut war seine Frau, symbolisiert durch die Sonnenstrahlen und das alles sehende Auge; und Chons war ihr Sohn, der Gott der Heilung und Zerstörer der bösen Geister.
Diese drei Götter wurden mit der Achtheit von Hermopolis in Verbindung gebracht, einer Gruppe von acht Urgöttern, welche „die Eigenschaften der Urmaterie verkörperten, wie Dunkelheit, Feuchtigkeit und das Fehlen von Grenzen oder sichtbaren Kräften. Sie bestand in der Regel aus vier Gottheiten, die durch Einbeziehung der weiblichen Gegenstücke auf acht verdoppelt wurden“ (Pinch, 175-176). Die Achtheit repräsentierte den Zustand des Kosmos, bevor sich das Land aus den Wassern des Chaos erhob und das Licht die ursprüngliche Dunkelheit durchbrach, und wurde auch als die Hehu („die Unendlichkeiten“) bezeichnet. Sie waren Amun und Amaunet, Heh und Hehet, Kek und Keket sowie Nun und Naunet, die jeweils einen anderen Aspekt der formlosen und unerkennbaren Zeit vor der Schöpfung repräsentierten: Verborgenheit (Amun/Amaunet), Unendlichkeit (Heh/Hehet), Dunkelheit (Kek/Keket) und der Abgrund (Nun/Naunet). Die Achtheit ist das beste Beispiel für das Beharren der Ägypter auf Symmetrie und Gleichgewicht in allen Dingen, verkörpert in ihrem männlichen/weiblichen Aspekt, von dem man annahm, dass er das Prinzip der Harmonie im Kosmos vor der Geburt der Welt hervorgebracht hatte.
Harmonie und Ewigkeit
Die Ägypter glaubten, dass die Erde (insbesondere Ägypten) den Kosmos widerspiegelt. Man glaubte, dass die Sterne am Nachthimmel und die von ihnen gebildeten Konstellationen einen direkten Einfluss auf die Persönlichkeit und das zukünftige Schicksal eines Menschen nahmen. Die Götter beseelten den Nachthimmel, reisten sogar durch ihn, waren aber keine fernen Gottheiten im Himmel. Sie lebten mit den Menschen in Ägypten zusammen und traten täglich mit ihnen in Kontakt. Bäume galten als Wohnstätten der Götter, und eine der populärsten ägyptischen Gottheiten, Hathor, wurde manchmal als „Herrin der Dattelpalme“ oder „Herrin der Sykomore“ bezeichnet, weil man glaubte, dass sie insbesondere diese Bäume bevorzugte, um sich in oder unter ihnen auszuruhen. Die Wissenschaftlerinnen Oakes und Gahlin stellen fest:
Vermutlich wegen des Schattens und der Früchte, die sie spenden, waren Göttinnen, die mit Schutz, Mutterschaft und Pflege assoziiert werden, eng mit [Bäumen] verbunden. Hathor, Nut und Isis erscheinen in der religiösen Bildsprache und Literatur häufig [im Zusammenhang mit Bäumen]. (332)
Auch Pflanzen und Blumen wurden mit den Göttern in Verbindung gebracht, und die Blüten des Isched-Baumes waren aufgrund ihrer lebensspendenden Eigenschaften als „Blumen des Lebens“ bekannt. Die Ewigkeit war also kein ätherisches, nebulöses Konzept eines weit von der Erde entfernten „Himmels“, sondern eine tägliche Begegnung mit den Göttern und Göttinnen, mit denen man für immer, im Leben und nach dem Tod, in Kontakt bleiben würde.
Um diese Art von Glückseligkeit zu erfahren, musste man sich jedoch der Bedeutung der Harmonie im eigenen Leben bewusst sein und wissen, wie sich ein Mangel an dieser Harmonie auf andere und auf einen selbst auswirken würde. Für die alten Ägypter war Undankbarkeit die „Einstiegssünde“, weil sie einen aus dem Gleichgewicht brachte und es jeder anderen Sünde ermöglichte, in der Seele eines Menschen Wurzeln zu schlagen. Sobald man aus den Augen verlor, wofür man dankbar sein konnte, wurden die Gedanken und Energien zu den Kräften der Dunkelheit und des Chaos gezogen.
Dieser Glaube führte zu Ritualen wie den Fünf Gaben der Hathor, bei denen man die Finger der eigenen Hand betrachtete und fünf Dinge im Leben benannte, für die man am dankbarsten war. Dabei wurde man ermutigt, alles zu nennen, was einem lieb und teuer war, wie den Ehepartner, die Kinder, den Hund oder die Katze oder den Baum am Bach im Garten. Da die Hand jederzeit griffbereit war, diente sie als Erinnerung daran, dass es immer fünf Dinge gab, für die man dankbar sein sollte, und dies würde einem helfen, ein leichtes Herz zu bewahren, um ein harmonisches Gleichgewicht zu erreichen. Dies war während des gesamten Lebens wichtig und blieb auch nach dem Tod von Bedeutung, denn um zu einem ewigen Leben in Glückseligkeit zu gelangen, musste das Herz leichter als eine Feder sein, wenn man vor Osiris stand.
Die Seele und die Halle der Vollständigen Wahrheit
Die Wissenschaftlerin Margaret Bunson erklärt:
Die Ägypter fürchteten ewige Dunkelheit und Bewusstlosigkeit im Jenseits, weil beide Zustände der geordneten Übertragung von Licht und Bewegung im Universum widersprachen. Sie verstanden den Tod als Tor zur Ewigkeit. Die Ägypter schätzten daher den Akt des Sterbens und ehrten die Bauwerke und Rituale, die mit einem solchen menschlichen Abenteuer verbunden sind. (86)
Die Bauwerke der Toten sind auch heute noch in ganz Ägypten in den Gräbern und Pyramiden zu sehen, die sich noch immer über die Landschaft erheben. Es gab aber auch Strukturen und Rituale nach dem Leben, die ebenso wichtig waren.
Man glaubte, dass die Seele aus neun verschiedenen Teilen besteht:
- Khat war der physische Körper
- Ka war die Doppelgestalt des Menschen
- Ba war ein menschenköpfiger Vogelaspekt, der zwischen Erde und Himmel hin- und hereilen konnte
- Shuyet war das Schattenselbst
- Ach war das unsterbliche, transformierte Selbst
- Sahu und Sechem waren Aspekte des Ach
- Ab war das Herz, die Quelle von Gut und Böse
- Ren war der geheime Name eines Menschen.
Alle neun dieser Aspekte waren Teil der irdischen Existenz, und nach dem Tod erschien das Ach (mit Sahu und Sechem) vor dem großen Gott Osiris in der Halle der Vollständigen Wahrheit und in Anwesenheit der zweiundvierzig Richter, um das eigene Herz (Ab) auf einer goldenen Waage gegen die weiße Feder der Wahrheit abzuwägen.
Man musste das Negative Sündenbekenntnis rezitieren (eine Liste der Sünden, von denen man ehrlich behaupten konnte, sie im Leben nicht begangen zu haben), und dann wurde das Herz auf die Waage gelegt. War das Herz leichter als die Feder, wartete man, während Osiris sich mit den zweiundvierzig Richtern und dem Gott der Weisheit, Thot, beriet, und durfte – wenn man für würdig befunden wurde – durch die Halle gehen und seine Existenz im Paradies fortsetzen. War das Herz schwerer als die Feder, wurde es auf den Boden geworfen, wo es von dem Ungeheuer Ammit (der Fresserin) verschlungen wurde, und man hörte auf zu existieren.
Sobald man die Halle der Vollständigen Wahrheit durchquert hatte, wurde man zum Boot von Mahaf („Der Hinterherschauende“) geführt, einem unangenehmen Geschöpf, das immer mürrisch und beleidigend war und zu dem man unbedingt freundlich und höflich sein musste. Indem man dem unfreundlichen Mahaf gegenüber freundlich war, zeigte man, dass man würdig war, über das Wasser des Liliensees (auch See der Blumen genannt) zum Gefilde der Binsen gebracht zu werden, das ein Spiegelbild des eigenen Lebens auf der Erde war, mit dem Unterschied, dass es dort keine Krankheit, keine Enttäuschung und keinen Tod gab. Man würde dann seine Existenz genauso fortsetzen wie zuvor und entweder darauf warten, dass diejenigen, die man im Leben liebte, zu einem kamen, oder man würde diejenigen treffen, die schon vorher verstorben waren.
Der Klerus, die Tempel und die Heilige Schrift
Obwohl der griechische Historiker Herodot behauptet, dass im alten Ägypten nur Männer Priester sein konnten, belegen die ägyptischen Aufzeichnungen etwas anderes. Frauen konnten seit dem Alten Reich Priesterinnen des Kults ihrer Göttin sein und genossen den gleichen Respekt wie ihre männlichen Kollegen. Normalerweise mussten die Mitglieder des Klerus das gleiche Geschlecht haben wie die Gottheit, der sie dienten. Vor allem der Kult der Hathor wurde routinemäßig von Priesterinnen betreut (es sei darauf hingewiesen, dass der Begriff „Kult“ im alten Ägypten nicht die gleiche Bedeutung hatte wie heute. Kulte waren einfach Religionsgemeinschaften). Priester und Priesterinnen konnten heiraten, Kinder haben, Land und Häuser besitzen und wie jeder andere leben, mit Ausnahme bestimmter ritueller Praktiken und der Einhaltung von Reinigungsvorschriften vor der Ausübung ihres Amtes. Bunson schreibt:
In den meisten Epochen waren die Priester in Ägypten Mitglieder einer Familie, die seit langem mit einem bestimmten Kult oder Tempel verbunden war. Die Priester rekrutierten neue Mitglieder aus ihren eigenen Clans, Generation für Generation. Dies bedeutete, dass sie nicht getrennt von ihren eigenen Leuten lebten und so ein Bewusstsein für die Lage in ihren Kommunen hatten. (209)
Die Priester durchliefen wie Schriftgelehrte eine lange Ausbildungszeit, bevor sie ihren Dienst antraten, und kümmerten sich nach ihrer Weihe um den Tempel oder die Tempelanlage, führten Rituale und Feste durch (z. B. Eheschließungen, Segnungen eines Hauses oder Projekts, Beerdigungen), übernahmen die Aufgaben von Ärzten, Heilern, Astrologen, Wissenschaftlern und Psychologen und deuteten auch Träume. Sie segneten Amulette, um Dämonen abzuwehren oder die Fruchtbarkeit zu steigern, und führten auch Exorzismen und Reinigungsriten durch, um ein Haus von Geistern zu befreien.
Ihre Hauptpflicht galt dem Gott, dem sie dienten, und den Menschen der Gemeinschaft, und ein wichtiger Teil dieser Pflicht war die Pflege des Tempels und der darin befindlichen Götterstatue. Priester waren auch Ärzte im Dienste von Heka, unabhängig davon, welcher anderen Gottheit sie direkt dienten. Ein Beispiel dafür ist, dass alle Priester und Priesterinnen der Göttin Serket (Selket) Ärzte und Ärztinnen waren, aber ihre Fähigkeit zu heilen und Serket zu beschwören wurde durch die Macht von Heka ermöglicht.
Die Tempel des alten Ägyptens galten als die buchstäblichen Wohnstätten der von ihnen verehrten Gottheiten. Jeden Morgen betrat der Oberpriester oder die Oberpriesterin, nachdem sie sich durch ein Bad gereinigt und in sauberes weißes Leinen und saubere Sandalen gekleidet hatten, den Tempel und kümmerte sich um die Statue des Gottes, so wie sie sich um eine Person kümmern würden, für die sie zuständig waren.
Die Türen des Heiligtums wurden geöffnet, um das Morgenlicht hereinzulassen, und die Statue, die sich immer im innersten Heiligtum befand, wurde gereinigt, bekleidet und mit Öl gesalbt. Danach wurden die Türen des Heiligtums geschlossen und verriegelt. Niemandem außer den Oberpriestern und Oberpriesterinnen war ein solch enger Kontakt mit dem Gott gestattet. Diejenigen, die nur zur Anbetung in den Tempel kamen, durften sich in den äußeren Bereichen aufhalten, wo sie von weniger bedeutenden Geistlichen empfangen wurden, die sich um ihre Bedürfnisse kümmerten und ihre Opfergaben entgegennahmen.
Es gab keine offiziellen „heiligen Schriften“, die vom Klerus verwendet wurden, aber es wird angenommen, dass die im Tempel vermittelten Konzepte denen ähnelten, die in Werken wie den Pyramidentexten, den späteren Sargtexten und den Zaubersprüchen im ägyptischen Totenbuch zu finden sind. Obwohl das Totenbuch oft als die „altägyptische Bibel“ bezeichnet wird, war es das nicht. Das Totenbuch ist eine Sammlung von Zaubersprüchen für die Seele im Jenseits. Die Pyramidentexte stammen aus der Zeit von ca. 2400-2300 v. Chr. und sind die ältesten religiösen Texte aus dem alten Ägypten. Die Sargtexte wurden später (ca. 2134-2040 v. Chr.) aus den Pyramidentexten entwickelt, während das Totenbuch (ursprünglich bekannt als das Buch vom Herausgehen bei Tage) irgendwann zwischen etwa 1550 und 1070 v. Chr. niedergeschrieben wurde.
In allen drei Werken geht es darum, wie sich die Seele im Jenseits zurechtfinden soll. Ihre (von europäischen Gelehrten vergebenen) Titel und die zahlreichen prächtigen Grabmäler und Statuen in ganz Ägypten, ganz zu schweigen von den aufwendigen Bestattungsritualen und Mumien, haben viele Menschen zu dem Schluss veranlasst, dass die ägyptische Kultur vom Tod besessen war, obwohl die Ägypter tatsächlich voll und ganz mit dem Leben beschäftigt waren. Das Buch vom Herausgehen bei Tage sowie die früheren Texte enthalten spirituelle Wahrheiten, die man zu Lebzeiten gehört hatte, und erinnern die Seele daran, wie sie sich in der nächsten Phase ihrer Existenz ohne physischen Körper oder materielle Welt verhalten sollte. Von der Seele eines jeden Ägypters wurde erwartet, dass sie sich an diese Wahrheiten aus dem Leben erinnerte, auch wenn sie nie einen Fuß in eine Tempelanlage gesetzt hatte, da die Ägypter das ganze Jahr über viele religiöse Feste feierten.
Religiöse Feste und religiöses Leben
Religiöse Feste in Ägypten verbanden den heiligen Aspekt der Götter nahtlos mit dem täglichen Leben der Menschen. Die Ägyptologin Lynn Meskell stellt fest, dass „religiöse Feste den Glauben aktualisierten; sie waren nicht einfach nur gesellschaftliche Feiern. Sie wirkten in einer Vielzahl von miteinander verbundenen Bereichen“ (Nardo, 99). Es gab große Feste wie das Talfest zu Ehren des Gottes Amun und kleinere Feste zu Ehren anderer Götter oder zur Feier von Ereignissen im Leben der Gemeinschaft.
Bunson schreibt: „An bestimmten Tagen, während mancher Epochen mehrmals im Monat, wurde der Gott auf Archen oder Schiffen über die Straßen getragen oder auf dem Nil zu Wasser gelassen. Dort fanden die Orakel statt und die Priester beantworteten Bittgesuche“ (209). Die Statue des Gottes wurde aus dem inneren Heiligtum entfernt, um die Mitglieder der Gemeinschaft zu besuchen und an den Feierlichkeiten teilzunehmen; ein Brauch, der sich in Ägypten unabhängig entwickelt haben könnte oder aus Mesopotamien stammte, wo diese Praxis eine lange Geschichte hatte.
Das Talfest war ein Fest des Lebens, der Ganzheit und der Gemeinschaft, und wie Meskell feststellt, nahmen die Menschen an diesem Fest teil und besuchten das Heiligtum, um „für körperliche Unversehrtheit und körperliche Vitalität zu beten“ und dem Gott oder der Göttin als Zeichen der Dankbarkeit für ihr Leben und ihre Gesundheit Opfergaben zu hinterlassen. Meskell schreibt:
Man kann sich vorstellen, dass ein Priester oder eine Priesterin kam, die Opfergaben einsammelte und dann die Körbe, von denen einige archäologisch nachgewiesen wurden, wieder bereitstellte. Die Tatsache, dass es sich bei diesen Schmuckstücken um persönliche Gegenstände handelte, deutet auf eine starke und intime Verbindung zur Göttin hin. Darüber hinaus wurden am Heiligtum von Timna im Sinai Votivgaben rituell zerschlagen, um die Übergabe vom Menschen an die Gottheit zu symbolisieren, was die Bandbreite der rituellen Praktiken dieser Zeit belegt. Im Neuen Reich gab es einen hohen Anteil an weiblichen Spenderinnen, obwohl die Grabmalereien im Allgemeinen nicht die religiösen Praktiken von Frauen zeigen, sondern sich eher auf männliche Aktivitäten konzentrieren. (101)
Das Zertrümmern von Votivgaben stand für die Unterwerfung unter den wohltätigen Willen der Götter. Eine Votivgabe war alles, was in Erfüllung eines Gelübdes oder in der Hoffnung auf die Erfüllung eines Wunsches dargebracht wurde. Obwohl Votivgaben oft unversehrt blieben, wurden sie manchmal rituell zerstört, um die Hingabe an die Götter zu symbolisieren – man übergab ihnen etwas Kostbares, das man nicht zurücknehmen konnte.
Bei diesen Festen gab es keine Unterscheidung zwischen Handlungen, die als „heilig“ angesehen werden, und solchen, die ein modernes Empfinden als „profan“ bezeichnen würde. Während eines Festes konnte man sein ganzes Leben ergründen, einschließlich sexueller Handlungen, Trunkenheit, Gebet, Segnungen für das Sexualleben, die Familie und die Gesundheit sowie Opfergaben aus Dankbarkeit und als Bitte.
Familien besuchten die Feste gemeinsam, ebenso wie Jugendliche, junge Paare und Menschen, die auf einen Partner hofften. Die älteren Mitglieder der Gemeinschaft, die Reichen, die Armen, die Herrschenden und die Sklaven waren alle Teil des religiösen Lebens der Gemeinschaft, denn ihre Religion und ihr tägliches Leben waren vollständig miteinander verwoben, und durch diesen Glauben erkannten sie ihr individuelles Leben als ein mit allen anderen verflochtenes Gewebe.