Die Kalligrafie etablierte sich neben der Malerei als wichtigste altchinesische Kunstform und trat erstmals während der Han-Dynastie (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) in den Vordergrund. Von allen gebildeten Männern und einigen Hofdamen wurde erwartet, dass sie diese beherrschten, eine Erwartung, die bis weit in die Neuzeit hinein anhielt. Gute Kalligrafie war weit mehr als bloßes Schreiben. Sie zeigte eine exquisite Pinselführung und Aufmerksamkeit für die Komposition, wobei aber auch die eigentliche Art des Schreibens wichtig war, mit dem Ideal von schnellen, spontanen Strichen. Die Pinselführung der Kalligrafie, ihre Philosophie und Materialien beeinflussten chinesischen Malstile, insbesondere die Landschaftsmalerei, und viele der alten Schriften werden noch heute in der modernen chinesischen Schrift nachgeahmt.
Materialien
Die in der Kalligrafie verwendeten hochflexiblen Pinsel wurden aus Tierhaar (oder seltener einer Feder) hergestellt, die zu einem spitz zulaufenden Ende geschnitten und an einen Bambus- oder Holzstiel gebunden wurden. Die verwendete Tinte wurde vom Autor selbst durch Reiben eines getrockneten Blocks aus tierischen oder pflanzlichen Stoffen, gemischt mit Mineralien und Bindemittel, gegen einen nassen Stein hergestellt. Holz, Bambus, Seide (ab ca. 300 v. Chr.) und dann Papier (ab ca. 100 n. Chr.) waren die gebräuchlichsten Schreiboberflächen, aber Kalligrafie konnte auch auf Alltagsgegenständen wie Fächern, Stellschirmen und Bannern erscheinen. Das beste Material war jedoch Papier, und die Erfindung von feinerem Papier – welche Cai Lun im Jahr 105 n. Chr. zugeschrieben wird – trug zur Entwicklung künstlerischerer Kalligrafiestile bei, da die größere Saugfähigkeit jede Nuance des Pinselstrichs einfing.
Methoden der Anwendung
Schnell entwickelte sich eine Kennerschaft, und die Kalligrafie wurde neben Ritualen, Musik, Bogenschießen, Wagenlenken und Zahlen zu einer der sechs klassischen und alten Künste. Von versierten chinesischen Kalligrafen wurde erwartet, dass sie unterschiedlich dicke Pinselstriche, ihre subtilen Winkel und ihre fließende Verbindung zueinander verwendeten – alles präzise in imaginären Räumen auf der Seite angeordnet – um ein ästhetisch ansprechendes Ganzes zu schaffen.
Der Historiker R. Dawson beschreibt die Anziehungskraft der fachmännisch mit einem Pinsel erstellten Kalligrafie im Vergleich zur gedruckten Version wie folgt:
Die gedruckten Zeichen sind wie Figuren auf einem viktorianischen Foto, die steif und stramm stehen; aber die mit dem Pinsel geschriebenen tanzen mit der Anmut und Vitalität des Balletts die Seiten hinunter. Die schönen Formen der chinesischen Kalligrafie wurden tatsächlich mit natürlichen Schönheiten verglichen, und jeder Strich wurde als von einem natürlichen Objekt inspiriert und die Energie eines Lebewesens innehabend angesehen. Folglich suchten chinesische Kalligrafen Inspiration, indem sie Naturphänomene beobachteten. Der berühmteste von allen, Wang Xizhi, beobachtete gern Gänse, weil die anmutigen und leichten Bewegungen ihrer Hälse ihn an die Führung eines Pinsels erinnerten, und der Mönch Huai-su soll durch die Beobachtung von im Wind schwebenden Sommerwolken zu schätzen gelernt haben, welche unendliche Vielfalt im als Grasschrift bekannten kursiven Stil der Kalligrafie möglich ist. (201-202)
Kalligrafieskripte
In der alten chinesischen Kalligrafie gab es fünf Hauptschriften:
- Siegelschrift (zhuan shu) - verwendet ab ca. 1200 v. Chr.
- Kanzleischrift (li shu) - ab ca. 200 v. Chr.
- Regelschrift (kai shu, zhen shu oder zheng shu) - ab ca. 200-400 n. Chr.
- Kursivschrift (xing shu) - ab dem vierten Jahrhundert n. Chr.
- Konzeptschrift (cao shu) - ab dem siebten Jahrhundert n. Chr.
Die Siegelschrift war, wie der Name schon sagt, ein formaler Stil, der für Siegel und andere offizielle Dokumente verwendet wurde, da sie Striche mit gleichmäßiger Dicke und weniger Richtungsänderungen aufweist, was es für Schnitzer einfacher machte, sie zu reproduzieren. Die Kanzleischrift mit ihren dicken Strichenden war ebenfalls formal und der Aufzeichnung durch Schreiber und Beamte vorbehalten. Später wurde sie zur gängigen Schrift für Inschriften. Sowohl die Siegel- als auch die Kanzleischrift wurden im 17. und 18. Jahrhundert n. Chr. als künstlerische Schriften wiederbelebt. Regelschrift war die Standardform für den Druck und ist bis heute die am häufigsten verwendete. Die extravagantere Kursivschrift war die beliebteste Wahl für künstlerischen Ausdruck und wurde auch für zu Gemälden hinzugefügte Anmerkungen verwendet. Die Konzeptschrift schließlich, auch als Grasschrift bekannt, wurde so genannt, weil sie am schnellsten zu produzieren und am „wildesten“ war, da der Künstler die Konventionen an ihre Grenzen brachte, so dass einige Zeichen auf die Schnelle schwer zu erkennen sind.
Trotz dieser umfassenden Kategorien war der Schreibstil jedes Kalligrafen natürlich der eigene. Ein Kalligraf strebte vielleicht nach Präzision statt nach Spontaneität, bevorzugte Extravaganz statt Anmut oder konzentrierte sich auf die Räume, die innerhalb der Komposition freigelassen wurden. Neben ästhetischen Ergebnissen wurde das Schreiben auch für andere Zwecke beurteilt, wie der Historiker M. Dillon hier erklärt:
Da die Schrift einer Person als Hinweis auf Temperament, moralischen Wert und Gelehrsamkeit angesehen wurde, wählten die Kaiser der Tang- und Song-Dynastien ihre Minister oft auf der Grundlage der Qualität ihrer Kalligrafie aus … Das Leben der kalligrafischen Tradition wurde durch die Vorstellung aufrechterhalten, dass Kalligrafie die spontanen Gefühle des wahrhaft erkenntnisreichen Individuums durch ein Ausströmen des Geistes in einem bestimmten Moment vermitteln könnte. (37)
Berühmte Kalligrafen
Wie in jeder anderen Kunstform wurden die begabtesten Kalligrafen für ihre Arbeit berühmt, und ihre Schriften wurden kopiert und in Innovationen wie gedruckten Büchern verwendet. Der meistverehrte aller chinesischen Kalligrafen war der bereits erwähnte Wang Xizhi (ca. 303 - ca. 365 n. Chr.), wobei er ein Schüler der Kalligrafin Wei Shuo (272-349 n. Chr.) war. Es gibt keine Beispiele für die Schrift der beiden, außer möglicherweise in erhaltenen Kopien von Xizhi. Der Sohn von Wang Xizhi, Wang Xianzhi (344-388 n. Chr.), war ein weiterer berühmter Praktizierender, und das Paar wird oft als „die zwei Wangs“ bezeichnet. Zhao Mengfu (1254-1322 n. Chr.) war ein weiterer gefeierter Kalligraf, der auf seinem Papier so präzise Zeichen in quadratischen Kästchen platzierte, dass Drucker seine Schrift für ihre eigenen Typenblöcke verwendeten.
Beispiele für die von diesen Meistern geschaffenen Schriften und Stile wurden oft auf Holz oder Stein kopiert, um sie zu erhalten, und daraus Tintenabrieb (bei) hergestellt. So konnten Papierexemplare verteilt und die Schriften von weniger bedeutenden Kalligrafen überall nachgeahmt werden. Solche Kopien waren auch für Kaiser nützlich, die während ihrer Regierungszeit einen Stil besonders fördern wollten, und sie wurden zu einer unschätzbar wertvollen Aufzeichnung der Entwicklung der chinesischen Kalligrafie, die bis heute konsultiert und nachgeahmt wird.
Beispiele berühmter Kalligrafie sind in Form von Briefen, Einleitungen zu Büchern, Prosastücken, religiösen Texten, Anmerkungen auf Gemälden und gravierten Stelen, Grabsteinen und Tafeln, wo der Steinmetz getreu die Arbeit eines bekannten Kalligrafen kopierte, erhalten. Beispiele feiner Kalligrafie berühmter Schriftsteller wurden auch in der Antike bereits gesammelt, insbesondere in den Bibliotheken der Kaiser oder sogar mit ihnen begraben. Diese Stücke wurden so hoch geschätzt, dass Fälschungen angefertigt und als echt an Sammler verkauft wurden. Ein weiterer Indikator für den Wert, den Kalligrafiebeispiele großer Meister der Vergangenheit haben, ist, dass die tatsächliche Bedeutung des Textes oft irrelevant für Preise und Sammlerwert ist. Es gibt viele Fragmente (tie), die zwar sehr alt und hoch geschätzt, aber eigentlich nur Kommentare zum Wetter oder eine Notiz für geschenkte Orangen sind.
Einfluss auf die Malerei
Die Techniken und Konventionen des Schreibens beeinflussten die Malerei, wo Kritiker nach dem kraftvollen Einsatz von Pinselstrichen durch den Künstler, ihrer Spontaneität und ihrer Variation zur Erzeugung der Illusion von Tiefe suchten. Ein weiterer Einfluss kalligrafischer Fähigkeiten auf die Malerei war die Bedeutung, die der Komposition und der Verwendung von leerem Raum beigemessen wurde. Schließlich blieb die Kalligrafie so wichtig, dass sie sogar auf Gemälden erschien, um zu beschreiben und zu erklären, was der Betrachter sah, den Titel anzugeben (obwohl keineswegs alle Gemälde vom ursprünglichen Künstler einen Titel erhielten) oder den Ort der Entstehung und die Person, für die es bestimmt war. Schließlich wurden solche Notizen und sogar Gedichte zu einem integralen Bestandteil der Gesamtkomposition und zu einem untrennbaren Teil des Gemäldes selbst.
Es gab auch eine Mode, weitere Inschriften von späteren Besitzern und Sammlern hinzuzufügen, sogar zusätzliche Portionen Seide oder Papier zum Originalstück zu ergänzen, um sie unterzubringen. Ab dem 7. Jahrhundert n. Chr. fügten die Besitzer beispielsweise häufig ihr eigenes Siegel in roter Tinte hinzu, und wenn ein Werk den Besitzer wechselte, fügte der neue Besitzer wiederum sein Siegel hinzu, sodass die Besitzgeschichte eines Werks manchmal Hunderte von Jahren zurückverfolgt werden kann. Wie es scheint, sollten chinesische Gemälde fortwährend bearbeitet und mit feiner Kalligrafie verschönert werden.