
Das Kalifat (arabisch „Khilafat“) war ein semi-religiöses politisches Regierungssystem des Islam, in dem die Gebiete des islamischen Reiches im Nahen Osten und in Nordafrika sowie die Menschen, die dort lebten, von einem Kalif (arabisch „Khalifa“: Nachfolger) genannten Herrscher regiert wurden. Die Kalifen waren zu Beginn die alleinigen Herrscher des Reiches, das der Prophet Mohammed bei seinem Tod hinterließ, und fügten diesem später große Teile umliegender rivalisierender Reiche hinzu. Sie wurden zunächst von einer Gruppe hochrangiger Mitglieder eines primitiven Parlaments gewählt, die den Willen des Volkes im Auge behielten. Die ersten vier Kalifen, die auf diese Weise ernannt wurden, werden von den meisten sunnitischen Muslimen als die Rashidun („rechtgeleitete“) Kalifen bezeichnet; die schiitischen Muslime betrachten nur Ali, den vierten Kalifen, als rechtmäßig und weisen die Ansprüche der ersten drei Kalifen als Usurpatoren zurück.
Das Kalifat wurde bald zu einer erblichen Einrichtung, als die Umayyaden das dynastische Herrschaftssystem in der islamischen Welt einführten. Die Umayyaden wurden von den Abbasiden gestürzt und ersetzt; allerdings behielten die Abbasiden nach der Zerstörung Bagdads im Jahr 1258 n. Chr. nur noch den Titel. Dies änderte sich, als die osmanischen Sultane als erste und letzte Nicht-Araber die Institution übernahmen und sie bis 1924 n. Chr. weiterführten, als sie vom türkischen Nationalistenführer Mustafa Kemal Pascha (dem Vater der modernen Türkei) offiziell abgeschafft wurde.
Kalifat der Rashidun
Ein Problem, das sich beim Tod des Propheten Mohammed (632 n. Chr.) stellte, war, dass er keinen Erben benannt hatte. Da er keine überlebenden Söhne hatte, kam es zu Konflikt. Der engste Verwandte Mohammeds – und nach Ansicht einiger sein rechtmäßiger Erbe – war Ali, sein Cousin und Schwiegersohn (er hatte Mohammeds Tochter Fatima geheiratet); diejenigen, die diese Meinung vertraten, wurden als „Shia't Ali“ (die Partei Alis) bekannt und würden sich später zu einer eigenen Sekte des Islam entwickeln. Die Araber waren jedoch nicht an ein dynastisches Herrschaftssystem gewöhnt, und so unterstützte die große Mehrheit der muslimischen Gemeinschaft den Anspruch des fähigsten und engsten Gefährten Mohammeds, Abu Bakr; diese Gruppe wurde als die Sunniten (Anhänger der „Sunna“ oder des Weges des Propheten) bekannt. Abu Bakr wurde zum Kalifen (Nachfolger des Propheten) ernannt und erhielt auch die ausdrückliche Unterstützung eines anderen hochrangigen und angesehenen Gefährten Mohammeds, Umar, der später sein Nachfolger werden sollte.
Abu Bakr (reg. 632–634 n. Chr.) erwies sich als kompetenter Führer. Die meisten arabischen Stämme weigerten sich, die Autorität des Kalifen zu akzeptieren, unter dem Vorwand, ihre Loyalität gelte nur der Person Mohammeds, nicht dem Islam an sich – diese abtrünnigen Stämme unterstützten auch „Hochstapler“ oder falsche Propheten, die immer wieder mit neuen und obskuren Glaubensrichtungen auftauchten. Von seiner Hauptstadt Medina aus konterte Abu Bakr kompetent mit einem Aufruf aller „Gläubigen“ zu den Waffen unter dem Banner des Jihad (in diesem Kontext: Heiliger Krieg). Die muslimischen Armeen siegten über die Rebellen, und Abu Bakr gelang es, die gesamte arabische Halbinsel unter seiner Herrschaft zu vereinen. Da vorauszusehen war, dass wiederaufkommende Stammesloyalitäten zu Konflikt führen könnten, schickte Abu Bakr die neu gebildeten Armeen aus, um die Kontrolle über arabische Stämme in sassanidischen und byzantinischen Gebieten zu festigen. Diese Angriffe waren als Streifzüge gedacht, wurden aber dann zu raschen und dauerhaften Eroberungen. Nach Abu Bakrs Tod im Jahr 634 n. Chr. wurde sein einflussreichster Unterstützer, Umar ibn Khattab (reg. 634–644 n. Chr.), der nächste Kalif.
Umar setzte Abu Bakrs Feldzüge fort, und die gleichzeitigen Siege in der Schlacht von Al Qaddissiya und der Schlacht von Yarmouk im Jahr 636 n. Chr. ebneten den Weg für die Eroberung eines großen Teils des Sassanidischen Reiches und der östlichen Provinzen des Byzantinischen Reiches, hauptsächlich Ägypten, Syrien und die Levante. Umar führte viele Reformen und neue Institutionen ein, wie beispielsweise Polizei, Renten, Gerichte und Parlamente, aber vor allem war er als gottesfürchtiger Mann bekannt, der sich besonders in der Rechtsverwaltung hervortat. Im Jahr 644 n. Chr. wurde er von einem persischen Sklaven namens Lu'lu ermordet.
Umars Nachfolger war Uthman ibn Affan (reg. 644–656 n. Chr.), ein Mitglied des wohlhabenden Clans der Banu Umayya und ein enger Freund Mohammeds. Obwohl er ein frommer Mann war und sich ganz dem neuen Glauben verschrieben hatte, war er nicht sehr beliebt. Die Probleme, die unter Umars strengem Regime noch unter Kontrolle gehalten werden konnten – wie etwa die gewaltigen Kosten der aggressiven Expansion –, machten sich jetzt bemerkbar und überforderten den neuen Kalifen. Seine Amtszeit war zwar nicht ohne militärische Erfolge, aber die Kosten überwogen den Profit aus diesen Eroberungen. Uthman wurde 656 n. Chr. in seinem eigenen Haus von aufständischen Soldaten aus der Garnisonsstadt Fustat in Ägypten ermordet, und mit seinem Tod starb auch die Einheit der muslimischen Umma (Gemeinschaft).
Muawiya (der fähige Gouverneur von Syrien), Uthmans Cousin und nun Oberhaupt des Umayya-Clans, wollte Vergeltung für diesen Mord, doch der neue Kalif Ali ibn Abi Talib (reg. 656–661 n. Chr.) kam dieser Forderung nicht nach. Dies erbitterte nicht nur Muawiya, sondern auch andere Muslime, und so war Alis Herrschaft von ständigen Bürgerkriegen geprägt und die Expansion kam zu einem Stillstand. In einem weiteren umstrittenen Schritt verlegte er außerdem die Hauptstadt von Medina nach Kufa, einer Garnisonsstadt im heutigen Irak. Alis Ende ähnelte dem seines Vorgängers: Er wurde 661 n. Chr. während des Betens in der Gemeinde von einer extremistischen Gruppe, den Kharijiten, ermordet. Ali hat nach seinem Tod außerordentlichen Ruhm erlangt, vor allem wegen seiner Stellung in der schiitischen Ideologie. Er wird von ihnen als der einzig wahre Nachfolger Mohammeds verehrt, während sunnitische Muslime alle vier Kalifen als gleichermaßen legitim und rechtgeleitet (arabisch „Rashidun“) betrachten.
Dynastie der Umayyaden
Noch während Ali regierte, hatte Muawiya wagemutig dessen Autorität aus moralischen Gründen in Frage gestellt. Er nutzte den tragischen Tod seines Cousins, um seine Agenda zu verbreiten, und hatte so seine Macht ausbauen können. Nach Alis Tod war Muawiyas (reg. 661–680 n. Chr.) einziger Konkurrent Alis ältester Sohn Hasan, der zu Muawiyas Gunsten auf das Amt verzichtete und als Gegenleistung eine hohe Rente erhielt. Das Jahr 661 n. Chr. markiert den offiziellen Beginn der Herrschaft der Umayyaden-Dynastie mit Muawiya als ihrem ersten Kalifen und Damaskus als neuer Hauptstadt; das Machtzentrum verlagert sich vom Irak nach Syrien, und Medina sollte nie wieder die politische Bedeutung erlangen, die es einst hatte. Muawiyas 20-jährige Herrschaft brachte der Umma (muslimischen Gemeinschaft) das höchste Maß an Stabilität seit Umars Tod. Gegen Ende seines Lebens ernannte Muawiya seinen Sohn Yezid (reg. 680–683 n. Chr.) zu seinem Nachfolger, was auf großen Widerstand stieß, vor allem von Alis jüngerem Sohn Hussayn, der im Jahr 680 n. Chr. zusammen mit seiner Armee, die hauptsächlich aus seinen Familienangehörigen bestand, von Yezids Truppen in der Schlacht von Kerbela (in den Augen von sowohl Sunniten und Schiiten als Märtyrer) getötet wurde.
Kalif Abd al-Malik (reg. 685–705 n. Chr.) regte die Zentralisierung des Reiches an und erhöhte den Status des Arabischen, wodurch es zur Lingua franca des Reiches wurde. In seine Regierungszeit fällt auch die Eroberung von Tunis (693 n. Chr.) und die Konvertierung zum Islam der lokalen Berberbevölkerung, was in späterer Zeit zur Ausdehnung des Reiches bis auf die Iberische Halbinsel führen würde. Die (aufgrund der schiitischen Muslime) rebellische Provinz Irak wurde ebenfalls ruhig gehalten, indem sie unter die Kontrolle eines rücksichtslosen, aber loyalen Gouverneurs gestellt wurde – Hajjaj ibn Yusuf (661–714 n. Chr.).
Die größte Ausdehnung erreichte das Reich unter Abd al-Maliks Sohn, Walid I. (reg. 705–715 n. Chr.), unter dessen Herrschaft begabte Generäle dem Reich weite Gebiete neuen Landes zuführten. Muhammad ibn Qasim eroberte erfolgreich Teile des heutigen Pakistans (bis 712 n. Chr.), während Kutayba ibn Muslim Transoxiana eroberte (bis 713 n. Chr.). Tariq ibn Ziyad begann 711 n. Chr. mit der muslimischen Eroberung Hispaniens und erhielt Unterstützung durch Musa ibn Nusayr; zum Zeitpunkt Walids Todes hatte das Duo den Großteil Spaniens erobert.
Der einzige der Umayyaden, der von muslimischen Historikern überhaupt positiv erwähnt wird, war der sehr fromme und gottesfürchtige Umar ibn Abd-al-Aziz (reg. 717–720 n. Chr.). Auch als Umar II. bekannt, war er ein ergebener Anhänger des Islam, und seine kurze Herrschaft erinnerte an das frühere Raschidun-Kalifat. Er förderte Gleichberechtigung, erleichterte Konvertierungen, indem er Steuern für nichtarabische Muslime ermäßigte, machte der öffentlichen Verfluchung Alis ein Ende und gab auch Überfälle auf friedliche Nachbarn des Reiches auf. Seine unerschütterliche Haltung zu Gerechtigkeit und Frömmigkeit brachte ihn in Konflikt mit seinem eigenen Clan, der ihn 720 n. Chr. tötete; bis heute wird er von Muslimen als legendäre Figur verehrt.
Gegen Ende der 740er n. Chr. hatten interne Spaltungen und ständige Bürgerkriege um die Nachfolge – gepaart mit unfähigen Herrschern – das Reich zersplittert. Aus dem letzten Bürgerkrieg 744 n. Chr. ging der kompetente Herrscher Marwan siegreich hervor, doch er würde der letzte aus seiner Familie sein, der das Reich regierte. Im Jahr 750 n. Chr. wurde er von einer neuen Macht besiegt – den Abbasiden. Mit dem Tod Marwans war die unangefochtene Herrschaft der Umayyaden zu Ende, allerdings schafften sie es, einen kleinen Teil ihres früheren Reiches in Besitz zu behalten: Al Andalus (das bis 1492 n. Chr. Bestand hatte).
Dynastie der Abbasiden
Die Abbasiden waren die Nachkommen eines Onkels des Propheten Mohammed, Abbas, und sie bauten auf diese Tatsache, um ihren Anspruch auf das Kalifat zu legitimieren. Nachdem die Abbasiden 750 n. Chr. die Umayyaden gestürzt hatten, wurde Abu Abbas As-Saffah – „der Blutdürstige“ (reg. 750–754 n. Chr.) – zum Kalifen erklärt. Die Grabstätten der Umayyaden in Syrien wurden aufgegraben und ihre sterblichen Überreste verbrannt, und alle noch lebenden männlichen Mitglieder des Clans wurden niedergemetzelt – bis auf einen, Abd al-Rahman I., der den Abbasiden entkam und eine gefährliche Reise nach Al Andalus unternahm, wo er das Umayyaden-Kalifat von Cordoba (756 n. Chr.) gründete, das den Abbasiden an Eleganz und Pracht in nichts nachstehen würde.
Al Mansur (reg. 754–775 n. Chr.), der Nachfolger von As-Saffah, ließ eine neue Hauptstadt in der Nähe des Tigris bauen: Bagdad (im heutigen Irak), eine Stadt, die alle europäischen Städte jener Zeit in jeder Hinsicht übertraf. Künstler, Architekten, Gelehrte, Dichter, Historiker, Wissenschaftler, Astrologen, Mathematiker und andere Gelehrte aus vielen Bereichen trugen zur Aufwertung der Stadt bei und machten sie zu einem Zentrum des Wissens und der Kultur im islamischen Reich.
Unter Kalif Harun ar-Raschid (786–809 n. Chr.), dem berühmtesten Vertreter der Abbasiden (der auch häufig in Volksmärchen und Legenden vorkommt), wurde die Große Bibliothek von Bagdad – die Bayt al Hikma (Haus der Weisheit) – errichtet, die zum Zentrum des Lernens in der Welt wurde. Hier wurden die klassischen Werke der Griechen ins Arabische übersetzt und Jahrhunderte später war es vor allem dank der Bayt al Hikma, dass die europäische Renaissance stattfand, da alle griechischen Manuskripte sonst verloren gegangen wären. Seine Herrschaft gilt als das goldene Zeitalter der Abbasiden; er machte mit seiner Regierung nicht nur große Fortschritte in der Verwaltung, sondern bewies sich auch auf dem Schlachtfeld als kompetent, indem er 806 n. Chr. Armeen nach Kleinasien zu erfolgreichen Feldzügen gegen die Byzantiner führte.
Seine Entscheidung, das Reich zwischen seinen beiden Söhnen Al-Amin und Al-Ma'mun aufzuteilen, führte nach seinem Tod zu einem kostspieligen Bürgerkrieg, aus dem Al-Ma'mun (reg. 813–833 n. Chr.) als Sieger hervorging. Dieser Bürgerkrieg war eine der Hauptursachen für den Zusammenbruch des Reiches. Al-Ma'mun war ein Mäzen der Künste und des Lernens, aber nicht so politisch aktiv wie seine Vorgänger und er hatte auch nicht denselben Respekt vor ihrem Glauben. Mit dem Tod Al-Ma'muns war auch der Zenit des Reiches überschritten; in der Tat hatten verschiedene Regionen des Reiches bereits während seiner Herrschaft begonnen, sich als separate Emirate abzuspalten.
Die Anwärter auf das Kalifat begannen damit, sich in großem Ausmaß auf türkische Leibwächter zu verlassen, um den Thron zu erobern, da das Reich sich fast ständig im Bürgerkrieg befand. Die enormen Kosten für diese Privatarmeen und unfähige Herrscher, die nicht in der Lage waren, das riesige Reich fest im Griff zu behalten, trieben sie nahezu in den Bankrott. Darüber hinaus bildete sich 909 n. Chr. im westlichen Teilen Nordafrikas ein rivalisierendes schiitisches (Anti-)Kalifat, das sich weiter bis nach Ägypten und Hejaz ausbreitete und dessen Herrscher sich als Fatimiden bezeichnete – die Nachkommen von Fatima, der Tochter des Propheten (diese Schiiten gehörten zu einer radikalen Sekte, die Siebener genannt wurde, da sie an sieben Imame glaubten, im Gegensatz zu den uns heute bekannten schiitischen Muslimen, die an einen anderen Stammbaum mit zwölf Imamen glauben). Die Fatimiden-Dynastie hatte bis 1171 n. Chr. Bestand, als sie von Saladin (1137–1193 n. Chr.) abgeschafft wurde, der Ägypten unter die Oberhoheit der Abbasiden brachte.
Zu diesen Zersplitterungen kam hinzu, dass die Abbasiden, selbst Sunniten, nun von einem schiitischen iranischen Reich unter Herrschaft der sogenannten Buyiden – benannt nach ihrem Gründer Ali ibn Buya (ca. 891–949 n. Chr.) – dominiert wurden. Im Jahr 945 n. Chr. eroberten die Buyiden Bagdad, und die Kalifen wurden zu nichts mehr als Symbolfiguren. Die Buyiden wurden ihrerseits 1055 n. Chr. von den Seldschuken gestürzt, einem Turkstamm aus Zentralasien, der im 11. Jahrhundert n. Chr. die sunnitische Version des Islam übernommen hatte und begann, sein Reich bis nach Kleinasien auszudehnen. Die Seldschuken eroberten Bagdad, aber für die Kalifen änderte sich nichts; sie behielten nur ihren Titel. Ebenso rasch wie ihr Aufstieg war auch der Fall der Seldschuken und im 12. Jahrhundert n. Chr. waren sie nicht mehr die starke und überragende Macht, die sie einmal gewesen waren. In den Kreuzzügen (1095–1291 n. Chr.) – ein Konflikt, der durch den Aufstieg der Buyiden und die Bedrohung, die sie nach der Schlacht bei Manzikert (1071 n. Chr.) für das Byzantinische Reich darstellten, ausgelöst worden war – waren sie bloß Zuschauer. Die Abbasiden nutzten diese Gelegenheit, um vollständige, wenn auch nur kurzlebige, Autonomie zu erlangen.
Eine neue Bedrohung tauchte nun jedoch aus den Steppen Zentralasiens auf: die Mongolen. Kalif Al-Must'asim (reg. 1242–1258 n. Chr.), der letzte der offiziellen Abbasiden-Herrscher, wurde 1258 n. Chr. in seiner eigenen Hauptstadt von der Streitmacht Hulegu Khans belagert. Die gesamte Stadt wurde dem Erdboden gleichgemacht, die Bevölkerung niedergemetzelt, und Al-Must'asim wurde in einen Teppich eingerollt und unter Pferdehufen zertrampelt. Mit der Zerstörung Bagdads ging die Herrschaft der Abbasiden zu Ende; auch wenn in Kairo weiterhin Schattenkalifen lebten, besaßen diese nichts außer dem Titel, nicht einmal eine symbolische Bedeutung.
Osmanisches Sultanat
Im Jahr 1299 n. Chr. begann ein ehemaliger türkischer Vasall der Seldschuken und Stammeshäuptling namens Osman (reg. ca. 1299–1324 n. Chr.) damit, sein Herrschaftsgebiet in Kleinasien auf Kosten des geschwächten Byzantinischen Reichs auszudehnen, und gründete das Osmanische Sultanat (nach Osman benannt). Osman und seine Nachkommen, die Jihad und imperiale Expansion als ihre moralische Pflicht betrachteten, eroberten rasch weitreichende Gebiete. Im Jahr 1453 n. Chr. herrschten die Osmanen von ihrer Hauptstadt Edirne (Adrianopel) aus über Gebiete in Kleinasien, ganz Anatolien und viele Regionen auf dem Balkan. Zwei bedeutende Versuche der europäischen Christen, ihr Vorrücken aufzuhalten, scheiterten 1389 n. Chr. (Schlacht auf dem Amselfeld) und 1444 n. Chr. (Schlacht bei Warna).
1453 n. Chr. war Konstantinopel das letzte Überbleibsel des Byzantinischen Reichs und der osmanische Sultan Mehmed II. (reg. 1451–1481 n. Chr.) war entschlossen, es einzunehmen. Mehmeds Belagerung war erfolgreich, und die Stadt wurde die neue Hauptstadt des Sultanats. Mit der Einnahme der Dardanellen besaßen die Osmanen nun das Monopol über die wichtigsten Handelswege (Teile der Seidenstraße) im Nahen Osten und in Eurasien und hatten keinerlei Absicht, sie mit dem Rest der Welt zu teilen. Sie schlossen die Seidenstraße, was andere westliche Mächte dazu zwang, den noch unbekannten Teil der Welt zu erforschen und dadurch das Zeitalter der Entdeckungen einzuläuten, was zur Eroberung der sogenannten „Neuen Welt“ durch die europäischen Großmächte führte.
Mehmed, wie frühere Sultane, hatte den Kalifentitel für sich selbst beansprucht, und ohne andere Anwärter, die ihm den Titel streitig machen könnten, war dieser Anspruch einigermaßen legitim. Dies wurde 1517 n. Chr. noch weiter legitimiert, als Sultan Selim I. das Sultanat der Mamluken eroberte und den Titel offiziell von den abbasidischen Schattenkalifen auf die Osmanen übertrug. Die Osmanen hielten noch vier weitere Jahrhunderte an diesem Titel fest, auch wenn die muslimische Welt nicht mehr wie früher vereint war; die symbolische (semi-religiöse) Bedeutung des Kalifats blieb in den Herzen der Muslime erhalten, die es als Symbol für die Einheit der Umma sahen, und auch die Türken erfuhren Ehrerbietung für diesen Titel. Die Niederlage der Osmanen im Ersten Weltkrieg (1914–1918 n. Chr.) führte zum Aufstieg der nationalistischen Türkei, deren Gründer Mustafa Kemal Pascha die Institution des Kalifats 1924 n. Chr. offiziell auflöste. Seitdem hat keine andere Nation die Kalifats-Autorität über die islamische Welt übernommen.
Fazit
Die Institution des Kalifats durchlief drei große Entwicklungsphasen. Zunächst war es ein religiös inspiriertes politisches System, dessen Führer die Aufgabe hatte, das „Gesetz Gottes“ in seinem Land durchzusetzen, obwohl der Mangel an Zentralisierung bedeutete, dass in neu eroberten Gebieten die meisten lokalen Bräuche und Verwaltungsstrukturen fortbestanden. Diese frühe Phase hatte einen erheblichen Schwachpunkt: Die religiöse Inspiration reichte nicht aus, um die Position der Kalifen zu sichern.
Mit der Ermordung Uthmans war klar geworden, dass die politische Komponente der Institution überwog und das Kalifat einfach „ergriffen“ werden konnte. Dies bestätigte sich weiterhin, als die Dynastien der Umayyaden und Abbasiden an die Macht kamen. Beide stießen auf heftigen Widerstand und Ablehnung, blieben aber trotzdem an der Macht (was den frühen Kalifen nicht möglich gewesen wäre, wenn man Uthmans Nachsicht und mangelnde Bereitschaft, Aufstände mit militärischer Gewalt zu unterdrücken, bedenkt). Sie führten auch das Konzept von dynastischer Herrschaft ein und mischten es mit dem Kalifat, d. h. das Kalifat war nun erblich.
Als die Osmanen 1517 n. Chr. offiziell den unbestrittenen Anspruch auf das Kalifat erhoben, waren sie die ersten Nicht-Araber (nach ethnischer Zugehörigkeit), die die „Führung der Gläubigen“ übernahmen. Diese Änderung brachte auch ein neues Gefühl der Gleichberechtigung in der muslimischen Welt mit sich; arabische und nicht-arabische Muslime waren in allen Bereichen, auch in der Politik, gleichgestellt. Viele Muslime sehen die Abschaffung der Institution und die fehlenden Bemühungen, es wiederzubeleben, als bedauerlich, da sie glauben, dass auch wenn die politische und militärische Macht des Kalifats längst verloren ist, seine symbolische Bedeutung für die islamische Gemeinschaft als semi-religiöses politisches System und seine Inspirationskraft ein unschätzbares kulturelles Erbe darstellen.