Tokugawa Ieyasu (1543-1616) war ein japanischer Militärführer, der Japan zu Beginn des 17. Jahrhunderts nach einer langen Periode des Bürgerkriegs, auch bekannt als die „Zeit der streitenden Reiche“ oder Sengoku-Zeit, wiedervereinigte. Er begründete eine neue Regierung, die vom Tokugawa-Clan kontrolliert wurde und Japan bis 1868 regierte.
Aufstieg zur Macht
Ieyasu, wurde 1543 als Matsudaira Takechiyo auf Burg Okazaki geboren, nahe der heutigen Stadt Nagoya. Die Matsudaira entstammten dem Schwertadel und führten ihre Abstammung auf den Minamoto-Clan zurück, der die japanische Politik während der Kamakura-Zeit (1185-1333) beherrschte. Das 16. Jahrhundert in Japan wird gemeinhin als die „Zeit der Streitenden Reiche“ oder Sengoku-Zeit bezeichnet, das durch eine tumultartige Ära des Bürgerkriegs gekennzeichnet war. Während dieser Zeit kämpften Daimyo - lokale Kriegsfürsten - um Macht und territoriale Kontrolle, was zu häufigen Konflikten und Schlachten im ganzen Land führte. Verrat war allgegenwärtig und auch innerhalb von Familien üblich. Gegenseitiger Geiselaustausch wurde häufig praktiziert, um Bündnisse zu festigen. Daher verbrachte Ieyasu seine Kindheit viele Jahre fern seiner Familie.
Nachdem er seine erste Schlacht im Jahr 1558 geschlagen hatte, festigte Ieyasu nach und nach die Position seiner Familie, indem er ein Bündnis mit dem mächtigen Krieger Oda Nobunaga einging (1534-1582), dem Ersten der drei Reichseiniger. Ieyasu unternahm eine lange Reihe von Feldzügen gegen die rivalisierende Takeda-Familie, was zu deren endgültiger Niederlage im Jahr 1582 führte. Im selben Jahr wurde Oda Nobunaga von einem seiner eigenen Gefolgsleute ermordet, und in den darauffolgenden Wirren stieg Toyotomi Hideyoshi (1537-1598) zum mächtigsten Militärführer in Japan auf. Obwohl Ieyasu Hideyoshi gegenüber zunächst feindlich gesinnt war, schlossen sie 1590 ein Bündnis, um die Hojo Familie anzugreifen. Die Hojo waren ein mächtiger Clan, mit viel Landbesitz in der Region Kanto im Osten Japans.
Nach der Niederlage der Hojo bot Hideyoshi Ieyasu die Kontrolle über acht ehemalige Hôjô-Provinzen in der Kanto-Region an. Im Gegenzug musste Ieyasu fünf seiner Provinzen in Zentraljapan an Hideyoshi abtreten. Nach außen hin sah dieser Handel für Ieyasu nach einem Gewinn aus, vermehrte er doch seine Besitzungen. In Wirklichkeit schwächte der Tausch jedoch seine Position. Tatsächlich lagen die acht Provinzen weiter entfernt von der Hauptstadt Kyoto (Heiankyo) als seine bisherigen Ländereien und Ieyasu's Familie besaß keine traditionelle Verbindung zu diesem Gebiet. Letztlich entschied sich Ieyasu dazu, das Angebot anzunehmen, da eine Ablehnung einer Kriegserklärung gleichgekommen wäre. Er richtete sein Hauptquartier in einem kleinen Fischerdorf namens Edo ein, wo er mit dem Bau einer Burg begann. Während Hideyoshi in den 1590ern zwei katastrophale Feldzüge gegen Korea führte, die seine militärische Macht schwächten, festigte Ieyasu seine Kontrolle über die Kanto-Region.
Im Jahr 1598 erkrankte Hideyoshi und setzte in Erwartung seines eigenen Todes den Rat der fünf Regenten ein, der im Namen seines fünfjährigen Sohns Hideyori regieren sollte, bis dieser die Volljährigkeit erreicht hatte. Ieyasu galt als der mächtigste der fünf Regenten und nutzte seine Position, um nach dem Tod von Hideyoshi die Macht an sich zu reißen. Nach und nach spalteten sich die mächtigsten Daimyo in zwei Gruppen auf. Die Daimyo aus dem Westen Japans unterstützten mehrheitlich Hideyori, während jene im Osten sich mehrheitlich hinter Ieyasu stellten. Im Oktober 1600 kam es bei Sekigahara in der Nähe des Biwa-Sees in Zentraljapan zu einer großen Schlacht zwischen den beiden Seiten, aus der Ieyasu als Sieger hervorging und in Folge dessen de facto zum Herrscher Japans wurde.
Eine neue Regierung
Ieyasu nutzte seinen Sieg für eine radikale Umstrukturierung der Provinzen. Als Erstes konfiszierte er das Land derjenigen Daimyo, die in der Schlacht von Sekigahara gegen ihn gekämpft hatten. Einen Teil dieser Ländereien behielt Ieyasu für sich, während er den Rest unter seinen Anhängern neu aufteilte. Um die Macht der Daimyo zu schwächen, die erst nach der Schlacht das Lager gewechselt hatten, zwang Ieyasu sie aus ihren angestammten Provinzen in neue Gebiete umzusiedeln. Hideyoshis Sohn Hideyori durfte in der Burg Osaka bleiben, seine Domäne wurde jedoch wesentlich verkleinert.
Im Jahr 1603 ließ Ieyasu sich vom Kaiser zum Shogun ernennen. Der Titel Shogun wurde erstmals von Minamoto no Yoritomo (1147-1199) verwendet, der gegen Ende des 12. Jahrhunderts die erste Militärregierung in Kamakura gegründet hatte. Das japanische Wort für Militärregierungen lautete bakufu, was wörtlich in etwa „Zeltregierung“ bedeutet. Nach dem Sturz des Minamoto-Klans im Jahr 1333 gründete die Ashikaga-Familie ein neues bakufu im Muromachi-Gebiet von Kyoto, das bis zu seinem Sturz durch Oda Nobunaga im Jahr 1573 in abgeschwächter Form weiterexistierte. Ieyasu gründete die dritte Militärregierung in der japanischen Geschichte, auch bekannt als Tokugawa oder Edo-Bakufu.
Diese Periode der Kriegsherrschaft im mittelalterlichen Japan wird manchmal als Feudalismus bezeichnet, aber dieser Begriff ist durchaus missverständlich. In Europa entstand der Feudalismus nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches, aber in Japan wurde das in der Nara-Zeit (710-794) eingeführte kaiserliche System nie abgeschafft. Obwohl die kaiserliche Familie nur selten über wirkliche politische Macht verfügte, verschaffte der Kaiser der Militärherrschaft durch Verleihung von Titeln, wie dem des Shoguns, politische Legimitation, was für Ieyasu von großem Nutzen war. Der Titel verlieh ihm die Autorität, eine neue Art von Herrschaft zu etablieren, die mehr als 250 Jahre lang Bestand haben würde.
Nach der Schlacht von Sekigahara kontrollierte das Tokugawa-Bafuku als zentrale Regierung etwa 30% des Landes. Der Rest der Ländereien wurde von lokalen Daimyo jedoch autonom verwaltet. Ieyasu erkannte das erbliche Recht dieser Familien an, in ihrem angestammten Gebiet zu regieren, jedoch mussten die Daimyo im Gegenzug die Autorität der Tokugawa auf nationaler Ebene anerkennen. Moderne Historiker nennen die Domäne, die von einem Daimyo verwaltet wurde, Han. Die Größe des Han wurde nicht durch dessen Fläche bestimmt, sondern durch die Menge des vor Ort produzierten Reises. Diese Einheit wurde Koku genannt. Um Daimyo zu werden, musste eine Person Land kontrollieren, das mehr als 10.000 Koku Reis produzierte.
Ieyasu schuf ein System, das die Daimyo in drei Abstufungen unterteilte:
- Shinpan Daimyo – diejenigen die mit den Tokugawa verwandt waren
- Fudai Daimyo – diejenigen, die vor der Schlacht von Sekigahara mit den Tokugawa verbündet gewesen waren
- Tozama Daimyo – die in der Schlacht von Sekigahara gegen die Tokugawa gekämpft hatten
Die Domänen der Fudai Daimyo waren typischerweise klein, lagen aber an strategisch wichtigen Orten entlang der Hauptstraßen. Die Ländereien der Tozama Daimyo waren größer, einige umfassten mehr als eine Million Koku, aber sie befanden sich weit entfernt vom politischen Zentrum des Landes im Westen und Norden Japans. Anders als für Mitglieder der Tozama-Familien, gab es für Samurai, die Fudai-Familien entstammten, die Möglichkeit ein Amt innerhalb des bakufu zu bekleiden. Neben der Umverteilung der Ländereien, setzte Ieyasu eine Reihe von Maßnahmen um, die darauf abzielten, die Macht der Daimyo zu beschränken. Zum einen wurde die Größe ihrer Armeen begrenzt. Außerdem durften Daimyo nur jeweils eine Burg auf ihren Ländereien unterhalten. Sämtliche Reparaturen an Befestigungsanlagen, unterlagen einer Genehmigung. Ein erbliches vierstufiges Ständesystem wurde geschaffen, mit dem Schwertadel an der Spitze, gefolgt von den Bauern, Handwerkern und zu guter Letzt den Kaufleuten, die die unterste Gesellschaftsschicht bildeten. Diese Machtstruktur wird von Historikern als bakuhan-System bezeichnet, weil es sich aus den Wörtern bakufu und han zusammensetzt. Ieyasu etablierte geschickterweise ein System, in dem er und seine Nachfolger das Machtgleichgewicht zugunsten der Tokugawa-Familie aufrechterhalten konnten.
Im Jahr 1605 gab Ieyasu den Titel des Shoguns auf, um ihn an seinen Sohn Hidetada weiterzugeben. Dies tat er aus zwei Gründen. Zum einen wollte er die Position des Shoguns als ein erbliches Recht der Tokugawa-Familie etablieren. Zum anderen wollte er sich von den in der Position geforderten alltäglichen Pflichten befreien, um sich stattdessen auf die Festigung der Macht der Tokugawa-Familie konzentrieren zu können. Nach seinem Rücktritt zog Ieyasu nach Sumpu in der heutigen Präfektur Shizuoka und gründete dort eine Schattenregierung, die es ihm ermöglichte, das Land weiterhin zu regieren.
Die Entwicklung von Edo
Die Periode der nationalen Vereinigung von 1573 bis 1600 ist als Azuchi-Momoyama-Periode bekannt. Azuchi war der Standort einer großen Burg, die von Oda Nobunaga in der Nähe des Ufers des Biwa-Sees gebaut wurde. Die Burg Momoyama wurde von Toyotomi Hideyoshi in der Nähe von Kyoto erbaut. Während seiner Regierungszeit ließ Ieyasu viel bauen. Eines seiner größten Bauprojekte war die Burg Edo. Als Ieyasu 1590 nach Edo zog, war es nur ein kleines Fischerdorf in der Nähe der Ruinen einer Burg, die im 15. Jahrhundert erbaut worden war. In Edo überwachte Ieyasu den Bau einer neuen Burg und ließ dazu Hügel absenken, Sümpfe trockenlegen und Kanäle für eine bessere Transport- und Trinkwasserversorgung graben. Nach seiner Ernennung zum Shogun beschloss er sein Hauptquartier in Edo beizubehalten, anstatt in die Hauptstadt Kyoto umzuziehen. Er befahl den Daimyo, sich am Bau der sehr großen Burg, die von einem äußeren und inneren Burggraben umgeben war, zu beteiligen und die Arbeitskräfte und Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Dies verschaffte ihm sowohl einen seiner Position angemessenen prächtigen Wohnsitz und gleichzeitig schwächte es rivalisierende Familien. Um die Burg herum wuchs zügig eine Stadt heran, und im Jahr 1605 zählte Edo bereits 150.000 Einwohner.
Viele Daimyo bauten auf dem Hochland um die Burg herum luxuriöse Residenzen, während die einfachen Leute auf dem flachen Land in der Nähe des Sumida-Flusses lebten. Nach dem Sturz der Tokugawa im Jahr 1868 wurde Edo die offizielle Hauptstadt Japans und zu Tokio umbenannt, was so viel wie „östliche Hauptstadt“ bedeutet. Die Burg Edo, nun als „Kaiserpalast“ umbenannt, wurde zum offiziellen Sitz der kaiserlichen Familie. Der Kaiserpalast befindet sich nach wie vor im Zentrum von Tokio und erinnert mit seinen Steinmauern und Burggräben an die einstige Macht der Tokugawa-Familie. Die heutige Anlage umfasst jedoch nur etwa ein Drittel der ursprünglichen Burganlage. Neben der Burg Edo beaufsichtigte Ieyasu unter anderem auch den Bau der Burg Nijo in Kyoto. Sie diente als Hauptquartier der Tokugawa-Familie während ihrer Aufenthalte im Westen von Japan.
Obwohl Ieyasu die Daimyo zwang, für den Bau von Burgen und anderen großen Bauten aufzukommen, verzichtete er auf eine direkte Besteuerung der Einkünfte, die die Daimyo aus ihren Ländereien erzielten. Infolgedessen musste er die Kosten für die Aufrechterhaltung der Zentralregierung aus den Einnahmen seiner eigenen Ländereien bestreiten. Der größte Teil des Geldes stammte aus den Abgaben der bäuerlichen Bevölkerung, aber auch der Bergbau gewann zunehmend an Bedeutung. Ieyasu brachte die meisten der großen Silberminen in Japan unter seine direkte Kontrolle. Ebenso monopolisierte und pflegte er Beziehungen zu ausländischen Kaufleuten, da der Außenhandel eine weitere wichtige Einnahmequelle war. Handel wurde nicht nur mit den Nachbarn China und Korea betrieben, sondern auch mit verschiedenen europäischen Ländern. Die Europäer kamen erstmals in den 1540er Jahren nach Japan, und mit ihnen hielten neue Kulturformen Einzug, darunter Musketen und das Christentum. Obwohl Ieyasu den Außenhandel schätzte, war er darüber besorgt, dass seine inländischen Rivalen Unterstützung aus dem Ausland suchen könnten. Aus diesem Grund war er vorsichtig im Umgang mit Ausländern.
Die letzten Jahre
Während Ieyasu seinen Machtanspruch über Japan festigte, lebte Hideyoshis Sohn Hideyori weiterhin in Osaka. Im Jahr 1614 griff Ieyasu unter einem fadenscheinigen Vorwand die Burg Osaka an, die Hideyori gerade wieder aufgebaut hatte. Der erste Feldzug verlief unentschieden, doch bei den anschließenden Verhandlungen erklärte sich Hideyori bereit, die äußeren Burggräben zuschütten zu lassen für ein Friedensversprechen seitens Ieyasus. Im darauffolgenden Jahr brach Ieyasu jedoch sein Versprechen und unternahm einen weiteren Angriff. In den Kämpfen wurde Hideyori getötet und die Burg Osaka zerstört. Dies war Ieyasus letzte Schlacht. Er starb 1616 im Alter von 75 Jahren. Nach seinem Tod wurde in Nikko (in der heutigen Präfektur Tochigi nördlich von Tokio) ein spektakuläres Mausoleum erbaut, das Ieyasus Geist gewidmet wurde und in dem seine sterblichen Überreste beerdigt sind.
Ieyasu war eine der wichtigsten Persönlichkeiten der japanischen Geschichte. Er war sowohl ein großer Krieger als auch ein erfahrener Politiker, der ein politisches System schuf, das mehr als 250 Jahre lang Bestand hatte.